Nov 022013
 

m1613_jv0400Eigentlich ist der Oktober und der November die richtige Zeit, um der Bretagne den Rücken zu kehren und sich auf den Weg gen Süden zu machen. Doch in diesem Jahr sollte man anstatt einer Regattayacht dafür besser das Auto oder den Flieger wählen. In den letzten 2,3 Wochen zog eine Tiefdruckgebiet nach dem anderen vom Nordatlantik über die Biskaya in Richtung Mitteleuropa und hielt die Flotte der 84 MiniTransat 2013 SeglerInnen über 14 Tage in ihrem Starthafen Douarnenez fest. Hier ein großer Dank an Frank Eckhardt, der uns mit der aktuellen Entwicklung dieser Regatta versorgt hat!

3 Wochen nach dem Start der Mini 6.50 sollte morgen in Le Harve Startschuß für ihre großen Brüder und Schwestern zum Transat Jacques Vabre. 44 moderne Rennyachten treten in den Klassen MOD 70, Multi 50, IMOCA 60 und Class 40 an, um auf der Route des Kaffee von Frankreich nach Itajaí in Brasilien zu segeln. In dem starken Feld der Class 40 Yachten ist Jörg Riechers auf MARE gemeinsam mit Pierre Brasseur bei ihrem ersten TJV dabei und muß sich zu den Favoriten in seiner Klasse rechnen lassen. Aber wie schon bei den Minis hat die Wettfahrtleitung für das TJV aufgrund der Wetterentwicklung in dem Seegebiet der Biskaya eine Startverschiebung um 25 Stunden beschlossen: Statt morgen gehen die 2er Teams von Class 40, Open 60 und Multi 50 nun erst am Montag um 14:15 auf die ca. 5.300 sm nach Brasilien. Am Montag sind die beiden MOD 70 zwar mit am Start dabei, kehren aber nach dem passieren einer Wendemarke wieder nach Le Havre um, um dann 2 Tage später am Mittwoch die Verfolgung der anderen Yachten aufzunehmen.

Okt 132013
 

p1000181 - Mini Transat 2013 - Douarnenez - Starthafen - Photo: Mini TransatMini Transat 2013 – Douarnenez – Starthafen – Photo: Mini Transat

Für heute Mittag war der Start des Mini Transat 2013 geplant, aber die Wettfahrtleitung hat Angesichts der Wetterentwicklung vor Kap Finisterre und in der Biskaya den AP Wimpel gezogen. Wind mit 40 kns auf die Nase ist nicht wirklich das, was eine verantwortungsbewußte Regattaleitung den mehr als 80 Steuerfrauen und -männer auf ihren 6,50 m kurzen Classe Mini Yacht zum Beginn der Etappe zum Zwischenstopp Lanzarote auf ihrem weiten Weg über den Atlantik zum Ziel Point-a-Pitre auf Guadaloupe zumuten will.

Als einziger Teilnehmer aus Deutschland ist in diesem Jahr Henrik Masekowitz am Start dabei, der bereits ein erfolgreiches MiniTransat auf dem Buckel hat. In 2007 trat er mit einem Design vom Sam Manuard im Feld der Serienboot an und beendete das Rennen auf Platz 22 in seiner Klasse. Diesmal bestreitet er das Rennen als ungesponsorter Amateur im besten Sinne der Classe Mini und startet mit seiner 645 – Merlin-Soft Sailing in der Proto Klasse. Seine Website leider noch nicht auf dem akuellen Stand, aber für seinen Newsletter hat sein Freund Matthias Beilken einen ausführlichen Bericht geschrieben, der geteilt werden soll und den wir hier gerne veröffentlichen.

p1000214 - Mini Transat 2013 - Douarnenez - Starthafen - Photo: Mini TransatMini Transat 2013 – Douarnenez – Starthafen – Photo: Mini Transat

Henrik Masekowitz, der alte Mann und das Meer

Eine Art silicatgefülles Riesenkissen auf einem von innen an die Bordwände gequetschten Liegesitz, ein paar wasserdichte Container für die umfangreiche Ausrüstung, die die Rennleitung fordert, ein frei im „Salon“ hängender Campingkocher im Gewusel zwischen armdicken Kieltaljen, abgeschrubbelte Kompositschotten, ein paar Klamotten, Werkzeug, sogar ein alter geliehener Plastikisextant für Notfälle, das war's. Frei schwappendes Seewasser in einem Hightech-Kielkasten, der den Schwenkmechanismus der Kohlefaserkielfinne umfriedet und einem ruhenden Segler am Knie kratzt. Nur eine Persenning verhindert Überlaufen. Willkommen auf einem Mini-Einzelbau.

Besagtes Riesenkissen ist nur die moderne Variante eines Strohsacks, er wird überall dort gebraucht, wo Henrik Masekowitz ihn hinschleppt, um sich kurz hinzufläzen. Tags oder nachts, während sein Sechseinhalbmeterbötchen auf die Richtung Antillenbogen rast. Auf dem Querliegesitz, im Cockpit, woauchimmer. Richtige Längskojen mit Leesegeln, wie 2007 auf seinem Serienmini: Fehlanzeige.

Weswegen macht er das – wo er das doch schon einmal gemacht hat, vor sechs Jahren? Lustig geht doch anders, zuhause ist es doch auch nicht übel und so ein Einzelbau ist um Größenordnungen unbequemer, als ein Serienboot.

„So ein moderner Proto ist ein ganz schön unfreundliches Krabbelboot, vor allem für den Rücken ist er sehr anstrengend“, weiß der Mann, der sich als erster Deutscher anschickt, diese Tortur ein zweites Mal zu durchleiden.

Gekrabbelt wird viel dieser Tage, die die schlimmsten und unheroischsten des ganzen Rennens sind, fast pausenlos ist krabbeln angesagt. Klassenmitgliedschaft (was die Mitgliedschaft im französischen Segelverband einschließt), ärztliches Attest, Nachweis eines zertifizierten Sea-Survival-Kurses vorzeigen, ebenso Fotos vom Boot (falls eine Luftrettung anstehen sollte), Pfand für Überlebensanzug und Satellitenortungsbake erbringen undundund. Alles das bereitet zusätzlichen Nerv zu der Rennerei, die das Bootklarmachen und -vorführen ohnehin bedeutet. Und zu allerletzt werden auch noch die Handys eingesammelt und verplombt. Denn Hilfe von außen ist strengstens verboten, eine schlaffe UKW-Quatsche bleibt die einzige Verbindung zur Außenwelt. Und da sich nach dem dritten Tag auf See üblicherweise niemand mehr in Reichweite befindet, bleibt das „Mini“ die isolierteste Regatta der Welt.

Der legendäre „Esprit Mini“, diese herzerwärmende, alles umfassende Arme-Schlucker-Eigendynamik, hilft darüber hinweg und dominiert diese schwitzigen Krabbeltage. Irgendwie sind alle Leidensgenossen, die Masten werden kurzerhand und ohne großes seemännisches Theater mit Fallen zwischen zwei weiteren Minis gesetzt. Sowas und mehr erfrischt. Die Gegner sind die Helfer. Nur das Festbändseln und Trimmen seines Kohlefasermasts (es gibt keine Wantenspanner, nur Kompositterminals) muss Henrik wieder allein auf dem kurvigen Aufbau schwitzend erledigen.

Denn Designer Elie Canivenc hat nämlich 2006 kaum etwas ausgelassen, um seine quietschorange „La Ligue Contre le Cancer“ mit der Nummer 625, der Avantgarde zuzuführen: Kurvige Linien überall und selbst für einen modernen Proto extrawenig Platz, der wirklich nichts anderes als Krabbeln zulässt. Ein spezielles Rigg, spezielle Kielmechanik und natürlich die fast obligate halbrund-Großschot/Travellerschiene, deren Funktionsweise ohnehin kein Mensch kapiert. Bei ersten Regatten 2010 empfand Henrik seine neue alte „La Ligue“ (die immerhin schon ein Transat überstanden hat) als ausgesprochen zickig und Kummer bereitend, mittlerweile hat der alte Mann des Meeres sie so weit im Griff, dass er ihr sogar Leichtwindstärken attestiert.

Weil das Minitransat eine eher undeutsche und weit entfernte Regatta ist, hielten sich sich die deutschen Teilnahmen bis jetzt in Grenzen, mehr als zehn sind es wohl noch nicht. Die Mittelmeer- und Alantikanrainerstaaten Frankreich und Italien zählen qualitativ hochwertige Flotten. Und: Bis heute starteten nur zwei Deutsche bei den avantgarditischen „Protos“, den Einzelbauten. Aus deutscher Sicht fanden die meisten Teilnahmen bei den Serienbooten statt, also bei den Pogos, Dingos, Argos und Tamtams. Henrik segelte 2007 einen neuen TipTop von Erfolgsdesigner und Minisegler Sam Manuard, der seine der seine Kohlefaser- und Neigekielerfahrungen aus der Protoabteilung in die Serienboote übertrug. Beides – Kohlefaser und Neigekiele – sind bei Serienbooten jedoch verboten. Es bleiben die minitypischen Rumpflinien und die maximal Sechseinhalb Meter Länge über alles.

Dieser Tage bleibt Henrik wenig Zeit, sich in designphilosophische Betrachungen der Favoritenboote zu ergehen, obwohl es wohl einiges zu sehen gäbe. Das Siegerboot von 2011 beispielsweise, das David-Raison-Design mit dem Scow-Bug, das seinerzeit die Köpfe verdreht hat. Ein ganz altes, neues Prinzip: Die Alten erinnern sich noch an die „Segelprähme“, die Scows, die ihrerzeit schnellsten Segelfahrzeuge überhaupt.

Apropos die Altvorderen. Wolfgang Quix, Matthias Beilken (von ihm stammt besagter Sextant, dessen fünftes Minitransat es ist), Boris Herrmann, Jörg Riechers: Alles „deutsche Minis“. Beilken führte 1997 nach dem Start mit seinem Proto über alles, Herrmann war 2001 sogar der jüngste Minisegler bis dato und bleibt es bis heute (beim Start war er jünger, als Ellen MacArthur 1997). Und der Ebersberger Wolfgang Quix – heute weit in den Siebzigern – gehörte 1977 mit seinem Waarship 570 „Waarwolf“ zu den ersten Minipionieren überhaupt (jene Segelrebellen starteten damals von Penzance/England, weil derart kleine Boote Frankreichs Küstenregionen nicht verlassen durften, selbst der spätere Sieger Daniel Gilard musste sein Bötchen außer Landes trailern. In Frankreich gilt die bizarre Küstenregionsvorschrift übrigens bis heute, das „Mini“ funktioniert jedoch auf Ausnahmebasis). Bei der ersten, englisch organisierten Veranstaltung, gab es keine Klasseneinteilung und die erste Etappe zu den Kanaren war eine Geschwaderfahrt. Es gab Tote.

Heute ist das „Mini“ höchst seriös und international emanzipiert, alle zwei Jahre starten rund 60 Einhandsegler. Aber einfach Boothaben und Mitsegeln wollen läuft bei den Minis nicht. Vorm Starten stehen rigorose Qualifikationen von Boot und Skipper und besagte strenge Konformitätskontrolle, weil sich kein Veranstalter der Welt mehr Himmelfahrtskommandos leisten kann. Da Henrik bereits einmal Transat gesegelt ist und die Meilen anerkannt werden, konnte er der Quali die Fulltimebürde und etwas von der berüchtigten Schärfe nehmen. Denn immerhin ist der Hamburger Ingenieur mit einer erfolgreichen Wissenschaftlerin verheiratet, zusammen haben sie zwei Kinder.

Es gibt Stimmen, die behaupten, das „Mini“ zähle neben dem Vendée Globe, dem heutigen Velux 5 Oceans, der Route du Rhum und dem The Transat (dem ehmaligen Ostar) zu den wichtigsten Einhandregatten auf dem Planeten. Dem ist eindeutig so und Masekowitz ist der erste Deutsche, der sich anschickt, diese Tortur zweimal zu durchreiten, alle seiner Vorgänger hatten nach einem Mal die Faxen dicke und keine Puste mehr. Doch obwohl die Wichtigkeit des Rennens nicht überschätzt werden kann, ist den Veranstaltern ihr Hauptsponsor flöten gegangen: Die schwimmende Bootsausstellung Salon Nautique in La Rochelle. Jedoch ist die legendäre Classe Mini die größte Offshoreklassenvereinigung der Welt, Tradition und Verbindungen weitreichend. Deshalb wird 2013 nicht mehr vor dem monumentalen Fort Boyard gestartet, sondern wieder in Douarnenez. Und das Rennen heißt auch nicht mehr „Transat 650 Charente Maritime Bahia“, sondern wieder „Minitransat“. Und das – jetzt etwas weiter entfernte – Ziel liegt jetzt auch nicht mehr in Brasilien, sondern – natürlich mit Stopp auf den Kanaren – wieder in der Karibik. Aber es bleibt das „Mini“ und auch sonniger Passat kann kleine Boote ganz gehörig beißen.

Und apropos beißen. Ein letztes Wort, Henrik, zum Proviant, zur Hightech-Trekkingnahrung, die in heißem Wasser aufquillt und nährstoffspendende Formen annimmt, nicht mehr: „Konsistenz wie Baukleber. Aber eigentlich doch ganz schmackhaft“.

Am Sonntag fällt unwiederruflich der Startschuss, dann ist die unerbittliche Bastelzeit vorbei. Und fast so unwiederruflich laufen am Samstag alle Minis zum ledendären „Prolougue“ aus, einer minitypischen Schaulauf-Paraderegatta, die gerne genutzt wird, um mit Sponsrenvertretern zu segeln oder von den Lieben für anderthalb Monate Abschied zu nehmen – auf Widersehen auf einem andern Kontinent.

Viel Glück im sonnigen Passat, Henrik.

Matthias Beilken