Okt 172016
 

Wie versprochen heute den zweiten Teil des Silverrudder Beitrages von Anarchist Patrese, den es für Einhandselbsterfahrungstrip von Berlin nach Dänemark gezogen hat, viel Spaß und vielen Dank an Patrese für Text und Bilder!

Nachdem ich also nun knapp hinter „South Westerly“ auf die 30 Meilen Kreuz ging, und die Ostsee sich zwar wunderschön im Abendrot, aber auch mit reichlich Wind und noch schlimmer, mit heftigen Schlaglöchern zeigte, wich ich von meiner Taktik ab und folgte dem Feld nach links ins ruhigere Wasser der Bucht auf dem Weg nach Aebelö. Als das am weitesten rechts platzierte Boot würde ich immer noch von dem vorhergesagten weiter auf rechts Drehen des Windes profitieren und hätte dennoch meinen Gegner im Blick, um mich weiter zu motivieren. Beim ersten Crossing hatte ich schon gut auf den Jollipiloten aufgeholt und so hielt ich ihn mit taktischen Wenden immer zwischen mir und dem Land. Was dann auch bei der nächsten Begegnung zu einer knappen Führung reichte. Weitere 2 Unterwendungen später hatte er scheinbar aufgegeben und fiel beim Einbruch der Dunkelheit auf dem Tracker immer weiter zurück, bis wir zum Bergfest in der Finsternis Aebelö passierten.

Silverrudder 2016 - Kurskarte - Photo © Patrese

Silverrudder 2016 – Kurskarte – Photo © Patrese

So langsam hatten die nach uns gestarteten Gruppen aufgeschlossen und anhand der unendlich zahlreich erscheinenden roten, grünen und weißen Lichter konnte man die Größe des Feldes erahnen, mußte aber bei totaler Dunkelheit aufpassen, um nicht von jemandem überfahren zu werden, da auf jedem Boot halt nur einer war, der alles machen musste und nach 14-16 Stunden wird man so langsam müde.

Nun kam für mich „undiscovered country“, da ich Fredericia und den kleinen Belt bis dato noch nicht bereist hatte und jetzt mit ein paar hundert Piloten auf „anti-Einschlaf-Drogen“ segelte, die alle nur eins wollten: SCHNELLER!
Ich lag laut Tracker rund einen Kilometer vor den anderen und hatte meinen Vorsprung in den letzten 7 Stunden stetig ausgebaut ,was mir Vertrauen in meine bisherigen Entscheidungen gab und die Hoffnung weckte, an erster Stelle bis ins Ziel zu segeln, da es schließlich nach der Enge nur noch auf Backbord Halbwinds nach Hause ging.
Querab von Fredericia wurde ich gegen halb eins von einem auslaufenden KüMo erstmal mit 2 Suchscheinwerfern „ausgeleuchtet“, scheinbar war er ob der hunderten von Radarechos „leicht nervös“, verhielt sich aber vorbildlich. Ein zweiter folgte kurz danach, war für die Jungs bestimmt auch ein Erlebnis, denn AIS Sender hatte aus den ersten Gruppen bestimmt nur die wenigsten.
Also mit Schwung durch die erste Brücke um dann ob der mangelnden Revierkenntnis, an der zweiten Brücke zu schwächeln und auf Wolfgang wichtige Meter zu verlieren und die ersten Flautenlöcher zu testen…
Nach der Linksbiegung erwischte ich ein wenig Wind und glitt mit 5 bis 6 Knoten bei glattem Wasser und klarem Sternenhimmel wie bei einer Berliner 60 Seemeilen Nacht durch die engen Schluchten hinter Middlefahrt . Die Gegner waren jetzt in der Flaute zwischen den Brücken und ich vergrößerte meinen Vorsprung wieder auf 3 Kilometer oder rund 45 Minuten.
„Der Drops ist doch jetzt gelutscht…“ dachte ich, den kleinen Belt schon in Sichtweite und den Pokal schon vor meinen Augen. Und dann kam das Ungeheurer in Form eines MEGAPARKPLATZES querab von Faenö.
Innerhalb von 1,5 Stunden verlor ich 60 Minuten auf die 3 Boote, die im Ziel vor mir lagen, also Harry mit der Platu, Bjarne mit der sauber gesegelten Seascape 24 und Vorjahressieger Morten mit dem Mini. Alle drei waren nicht einmal direkt hinter mir, sondern lagen so auf den Plätzen 4 bis 7 vor meiner Parkaktion.
Dabei war die Flaute nicht mal das Entscheidende, sondern die vielen Dutzend großen Boote, die mit dem letzten Windfatz von hinten heran glitten und um mich herum mit doppelt so hohen Masten einparkten, mich in ihrem Pulk verschluckten und mich hinten wieder ausspuckten.

Als der Wind gegen 4 Uhr wieder bei mir einsetzte, war das schier Unglaubliche geschehen und der Tracker führte mich nur noch als Dritten mit eine Meile Rückstand auf die Spitze. Wobei Harry noch in Middlefart in den Tracker-Ghost Mode gegangen war und er gegen halb drei plötzlich an meiner Bordwand auftauchte, um anschließend mit dem letzten Knoten Fahrt im Dunkeln zu verschwinden, während ich immer noch parkte …
Bei Sonnenaufgang hatte ich einen Tiefpunkt und mußte mich wieder aufraffen, um erst etwas zu essen und eine halbe Stunde später Kraft genug zu haben, Halbwinds nochmal den Kampf aufzunehmen. Aber es half nichts, ohne Code 0 wie ihn die beiden SC24 fuhren, blieben die Waffen stumpf und es war eine reine Prozession, halbwind 30 Meilen bei 10 Knoten Wind im Gänsemarsch die Küste entlang zu segeln, ohne taktische Optionen.
8 Meilen vor dem Ziel durften wir wieder die Raumwindsegel aus dem Sack holen und noch 1 Stunde bei traumhaften Bedingungen den Svendborg Sund hochzufahren, wobei ich nicht die 12 Halsen auf dem letzten Stück in dem engen Fahrwasser bis zur Brücke als belastend empfand, sondern bei 9-10 Knoten Speed im Flachwasser eher als Krönung einer unglaublichen Regatta.

Ein weiteres Highlight war die Brückenpassage 400m vor dem Ziel, als sich ein Luffe 42 Heizer unter großem Spi (sic!) an BB noch unbedingt an der XP44 (welche die Blase vorsorglich vor der Enge heruntergeholt hatte), vorbei pressen wollte. Ich halste wie wild in immer engeren Zyklen zwischen beiden den Genni hin und her, bis klar wurde, dass KEINER nachgeben und wir uns ALLE drei nebeneinander mit 8 Knoten durch die nur 50m breite Brückenpassage quetschen würden. Dummerweise passten meine gefahrenen Winkel mit deren 180 TWA ÜBERHAUPT NICHT zusammen und so beschloss ich, die letzte Halse 20 Meter vor der Brücke nur noch mit dem Genni zu machen und mit jeweils 5-8m Seitenabstand zu Beiden – in erzwungener Koexistenz – im Butterfly Style zwischen den Pfeilern hindurch zu rauschen. Was für ein Bild, leider fehlte mir die dritte Hand zum Fotografieren!
Ein paar Sekunden später im Ziel war dann der Stein, der mir vom Herzen fiel, zentnerschwer und ich barg das bunte Segel, um mir nicht den Platz in der ersten Reihe beim „Wie bekommt man Einhand den 120 Quadratmeter Spi einer Luffe 42 herunter, ohne ein Megafuckup zu haben“ zu verbauen. Um es kurz zu machen: ich weiß es noch immer nicht, denn der Skipper stand so unter Strom, dass er einfach alle Schoten los ließ und mich mit vom Wahnsinn verklärtem Blick anschaute, bis ich in den Hafen abbiegen musste. Keine Ahnung, ob er noch eine zweite Runde gedreht oder den AC Drop gemacht hat, bei dem das Fall gekappt und das Tuch für den Tender ins Wasser geworfen wird. Aber die XP an Steuerbord hat er noch bekommen…

Silverrudder 2016 - Dänisches Päckchen - Photo © Patrese

Silverrudder 2016 – Dänisches Päckchen – Photo © Patrese

Mittlerweile war schon wieder perfektes Sommerwetter und so wurde nach dem fälligen Aufklaren auf Schlaf, bis auf ein 10 Minuten Nickerchen auf denn Holztribüne vor dem Schiff, bei dem ich eigentlich nur meinen Rücken dehnen wollte, aber vom Hafenmeister geweckt wurde, um mein Boot umzulegen, einfach weggelassen.

Auch die Jungs vom Hafenmeisteramt haben einen Megajob gemacht, alle Boot auf klassische Dänische Art ohne irgendwelche Streßfaktoren im Svendborger Hafen unterzubringen! Ganz großes Kino! Applaus.
Es gab ja auch viel zu erzählen, schon war es Abend und ich ging mit der Seascape Gang zu dem Hamburger-Laden von dem ich auf der Kreuz am Vorabend geträumt hatte und ließ 300 Gramm glückliche dänische Kuh samt Brötchen und Salat in meinen Magen gleiten… Sex könnte nicht besser sein!
Gegen Neun gingen wir nochmal am Orga Schuppen vorbei, ohne irgendwelche größeren Aktivitäten zu sehen und danach erinnere ich mich nur noch an 10 Stunden Schlaf am Stück.

Sonntagmorgen dann – schon wieder geiles Sommerwetter – wurde meine Frage nach dem Zeitpunkt der Preisverteilung mit einem banalen: „Die war doch gestern Abend….“ beantwortet…. Bitte???.
Tja, das war neben dem nicht ausgegebenen „Finisher Shirt“ (welches nach längeren Diskussionen jetzt aber doch aufgelegt wird), der einzige echte Negativpunkt. Hatte die Challenge-Leitung die Teilnehmerinformation doch ein wenig vernachlässigt und sich so um den Spaß gebracht, mit allen einen Megaabend zu feiern. Na ja, es muss ja noch Raum für Verbesserungen wie z.B. einen SMS Info Service bleiben, aber die Regatta war einfach „unfuckingbelievable geil“.
Also melden (ab November), irgendein Boot einpacken, seine persönlichen Gegner aussuchen und 135 Meilen gegen den inneren Schweinehund kämpfen! Dann wisst ihr, warum im nächsten Jahr vielleicht schon 500 Verrückte dieses Rennen gegen sich selbst segeln und die gesparten Kosten für Crewbespassung in neue Segel oder eine weitere Einhandregatta investieren.

Patrese