Sep 212013
 

Das war kein Freudenschrei der Kiwis heute. Eher ein laut vernehmbarer Ausdruck tief empfundenen Schmerzes. Kann Emirates Team New Zealand nicht endlich den 34sten America's Cup gewinnen? Zwei In-Folge-Siege des Cup-Verteidigers Oracle Team USA lassen das Nervositätslevel der ETNZ-Fans erheblich steigen.

Dabei sah im ersten der beiden dreizehnten Rennen heute alles so gut aus: Zwar ging OTUSA bei unter 9 Knoten Windgeschwindigkeit als Führender um die erste Tonne, doch während des Rennens konnte der Herausforderer aus Kiwi-Land spielend auf- und überholen. Zwischendurch bekamem die Amis noch Probleme mit ihrem Code 0, was den Abstand vergrößerte, so dass kurz vor Schluss über ein Kilometer Wasser zwischen den Booten lag. Kein Foiling in diesem Rennen, konventionelles Katamaransegeln mit einem Waka in der Luft war angesagt. 

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Da war der Knoten drin: Das Code 0 bei OTUSA hing fest (Foto © Andy)

Dann der Abbruch wegen Überschreitens des Zeitlimits. Zirka sechs Minuten haben zum "Spiel-Satz-Sieg" der Neuseeländer gefehlt. Oooohhhhhhhhhhh!

Wer denkt sich eigentlich eine Regel aus, bei der auf dem Kurs mindestens 10 Knoten Windstärke blasen müssen, damit die Boote im Zeitlimit von 40 Minuten ihr Rennen beenden können, startet dann aber bei weit schlechteren Bedingungnen? 3 bis 33 Knoten… Genau! Effektiv wird der 34. AC nun bei 10 bis 20 Knoten Wind gesegelt. Zahlen, die einem irgendwie aus alten IACC-Zeiten bekannt vorkommen.

Das zweite dreizehnte Rennen fand dann unter besseren Bedingungen statt, für den Rennbericht siehe vorherigen Beitrag.

Hängende Schultern bei den Kiwi-Fans, aufmunternde Worte von den Amerikanern. Wie schnell sich die Vorzeichen ändern können. Die Stimmung vor Ort ist nicht zu schlagen, ob OTUSA- oder ETNZ-Anhänger, man freut sich gemeinsam, man leidet gemeinsam.

Auf ein Neues dann morgen.

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Start Rennen 13.1: Nebel und kaum Wind, Jimmy Spithill ist als Erster über die Linie (Foto © Andy)

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Start Rennen 13.1: OTUSA baut Vorsprung vor der Golden Gate Bridge aus (Foto © Andy)

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Rennen 13.1: ETNZ überholt mit Beinchen hoch (Foto © Andy)

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Rennen 13.1: ETNZ auf Siegeskurs – schön wär's gewesen (Foto © Andy)

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Start Rennen 13.2: Dean Barker und seine Mannen gewinnen den Start (Foto © Andy)

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Start Rennen 13.2: Die Kiwis in Führung um Mark 1 (Foto © Andy)

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Rennen 13.2: Endlich auf die Foils: Hier sahen die Kiwis auf dem ersten Vorwindschlag noch gut aus. Das sollte ich kurz vor der Tonne ändern. Mehr hier(Foto © Andy)

 

Sep 162013
 

Von außen sehen sie aus wie ein paar Zelte zur Lagerung von Überflüssigem. In einem kargen Industriegebiet. Mit einer merkwürdigen, bootsähnlichen Struktur nebendran.

Doch ab und zu und so gegen 8:30 Uhr morgens, öffnen sich die Zelte und heraus kommen der Wing und das Boot mit denen Emirates Team New Zealand den 34. America’s Cup gewinnen möchten. Die Prozedur, das Flügelrigg auf das Boot zu bringen dauert fast eine Stunde, bei permanenter Überwachung der Windrichtung und -stärke. Eine Fehleinschätzung und das Teil, so groß wie ein Boeing-747-Flügel, gerät außer Kontrolle.

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Die Base erwacht: Flügelstrecken bei ETNZ. (Foto © Andy)

Und ab und zu dürfen auch Gäste mal "spionieren", wie es hinter den Kulissen der Teamarbeit aussieht. So wurde also eine kleine Anarchistenschar durch die heiligen Zelte geführt und kam aus dem Staunen nicht mehr raus.

Die Tour begann im Kombizelt: Da wegen des Flügels bei diesem AC nun keine Großsegel mehr bearbeitet werden müssen, nimmt die Segelmacherei wesentlich weniger Platz ein, als noch in Valencia 2007. Den Rest der Zeltfläche belegt der Fitnessraum.

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Segelmacherei und Folterkammer unter einem Zeltdach: Dank Flügel genug Platz für beides. (Foto © Andy)

Die Antriebseinheit in zweifacher Ausfertigung hat ein eigenes Zelt. Die schiere Größe ist unfassbar. Da muss niemand mehr darauf hinweisen, dass wir nur ein Staubkorn im Universum sind, es reicht, neben einem AC72-Wing zu stehen, um das zu begreifen.

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Echt gigantisch: Die zwei Flügel einer Boeing 747 sind nicht kleiner. (Foto © Andy)

In einem weiteren Zelt wird ruhig und besonnen, aber fleißig an „Aotearoa“ gearbeitet, dem Boot, das den Verteidiger Oracle Team USA niederringen soll – Fotografieren verboten!

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Leider nur von außen und im Gegenlicht zu fotografieren: „Aotearoa“ auf dem Trockenen. (Foto © Andy)

Dafür darf, zumindest beschränkt,  hinter den Zelten fotografiert werden. Dort steht Boot 1 der Kiwis, vielmehr die nackte Version des Testträgers aus Auckland. 72 Stunden würde es dauern, es im Falle eines Ausfalls des aktuellen Wettbewerbsbootes mit Teilen der „Aotearoa“ rennfertig auszustatten.

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In 72 Stunden könnte sie rennen: Boot 1 auf ihrem Parkplatz. (Foto © Andy)

Um möglichst autark arbeiten zu können sind in diversen Containern Manufakturen für Elektronik, eine Fräsmaschine, eine Schweißmaschine und – besonders beeindruckend – ein 3D-Drucker untergebracht. Zum Beispiel sind sämtliche Display-Gehäuse damit gedruckt worden. Natürlich dürfen auch Umkleideräume, Duschen und Toiletten nicht fehlen.

Ach ja, die bootsähnliche Struktur ist das „Waka Māori“, ein transportables, voll recyclebares Gebäude, das während des Rugby World Cups 2011 in Auckland zur Demonstration der Māori-Kultur gebaut wurde. Innen wesentlich schöner als es von außen vermuten lässt, dient es nun ETNZ für Sponsorevents. Auf dass sich viele Sponsoren hier genauso wohlfühlen wie wir an jenem Nachmittag!

Sep 142013
 

So viel neue Technik auf einem Haufen begegnet einem sonst hier nur im Slilicon Valley. Dort wird aber nicht aus Containern heraus gearbeitet, um das ganze Zeug schnell und problemlos rund um die Welt schicken zu können. Somit bekommt die LiveLine-/Umpire-/TV-Zentrale des 34. America's Cups etwas merkwürdig Vorläufiges, das in krassem Widerspruch zur Professionalität des Equipments und der Benutzer steht.

AC34_Kabelsalat_P1090363Wie in Neapel: Kabelsalat mit System. (Foto © Judy)

Was eine kleine Reporterschar bei der Führung durch das Gehirn des AC zu sehen bekam, ließ einige Münder offenstehen: Ein integriertes System, das hunderte von Datenkanälen zusammenfasst, die Daten entsprechend ihrer weiteren Nutzung aufbereitet und dann weiterleitet, zu den LiveLine-Jungs rund um Emmy-Gewinner Stan Honey, zu der TV-Crew von Denis Harvey und den Umpires, denen Mike Martin vorsteht.

AC34_LiveLine_P1090332Linien, Punkte, Strudel: LiveLine muss aufpassen, dass es nicht unübersichtlich wird. (Foto © Judy)

Alles begann mit Stan Honeys Idee, bei Regatten Grafiken über das Livebild zu legen, damit auch weniger Segelkundige begreifen, was sie da im Fernsehen eigentlich sehen. Larry Ellison war so begeistert davon, dass er, sobald er AC-Verteidiger wurde, genau dieses System entwickeln ließ und einsetzte. Kaum durchlief es die ersten Testphasen in Auckland und San Francisco, stellte sich heraus, dass es die Bootpositionen auf zwei Zentimeter genau abbilden konnte, so dass nun auch die Umpires Begehrlichkeiten zeigten. Was dazu führte, dass es zwar immer noch pro Teilnehmer ein Umpireboot gibt, die Entscheidungen aus der Auf-dem-Wasser-Perspektive aber von Kollegen auf dem Trockenen verifiziert und vor allem die Richtigkeit bewiesen werden konnten.

AC34_Umpiring_3_P1090338 KopieBerührung oder nicht? Ständige Kommunikation zwichen den Umpirebooten und der Mannschaft im Container minimiert die Fehlerquellen. (Foto © Judy)

Eine nette Fußnote: Für die richtige Programmierung des Systems wurden die Teams nach den genauen Außenmaßen ihrer Boote gefragt. Es herrschte eisiges Schweigen, niemand wollte auch nur ein bisschen der Designdaten preisgeben. Mike Martin, Direktor der Umpires, drohte daraufhin, die vorgegebenen Klassenmaße zu verwenden, was jedoch bei Abweicheungen zu falschen Umpireentscheidungen geführt hätte, die allerdings nie als "falsch" beanstandet hätten werden können. Und ganz plötzlich lagen dem Programmierteam die genauen Maße vor. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

AC34_TV_Replay_P1090374Multitasking zum Beruf gemacht: Zoe ist für die Replays zuständig. (Foto © Judy)

Auch die Fernseh-/YouTube-Produktion ist Teil des Systems: Drei Hubschrauber, ausgestattet mit Lidar-Gyrokameras sind ständig im Eisatz, sieben Kameras auf vier Video-Kanälen pro Wettbewerbsboot und diverse Kameraboote senden Daten, die verarbeitet werden wollen. Hinzukommt die Aufzeichnung aller Rennen, so dass mittlerweile schon eine Speicherkapazität von 70 Terabyte zur Verfügung steht.

AC34_Terabyte_P1090364Das Gehirn: Server- und Speicherbank von ACTV. (Foto © Judy)

Interessant wird zu sehen, ob sich dieses System im Segelsport und vielleicht auch in anderen Sportarten durchsetzen kann. Es wäre schade, wenn die faszinierende Technologie dem America's Cup vorbehalten wäre, oder mangels Finanzierung wieder verschwinden würde. Ziel der Entwickler ist es nun, eine abgespeckte Version zu entwerfen, die sich auch kleinere Veranstaltungen ohne Milliardär im Rücken leisten können. Wenn man sieht, mit welchem Enthusiasmus Honey, Martin und Harvey von ihrem "Baby" sprechen, kann man nur hoffen, dass ihnen das gelingt.

Sep 082013
 

Echte Rennen, mit fast gleichwertigen Booten, aber doch einem klaren Gewinner: Der Herausforderer um den 33. America’s Cup, Emirates Team New Zealand (ETNZ), siegt über den Verteidiger Oracle Team USA (OTUSA). Die größten Gewinner sind aber die Zuschauer.

Nach all dem Hin- und Her, den Juryentscheidungen, „Rudder-“ und „Podgate“, nun endlich echte America’s Cup Rennen im Schatten der Golden Gate Bridge. Mit tausenden interessierten, enthusiastischen, und aufgeregten Zuschauern. Im AC Park, dort wo die Merchandising-Shops und großen Leinwände stehen, wimmelte es nur so von Kiwi-Fans, die Unterstützer von Oracle Team USA waren klar in der Minderheit, obwohl, man merke auf, wir uns hier in San Francisco und nicht in Auckland befinden.

Darf nie fehlen wo Neuseeländer zugegen sind: Der Maori-Tanz Haka (Foto © Andy)
Darf nie fehlen wo Neuseeländer zugegen sind: Der Maori-Tanz Haka (Foto © Andy)

Mit der Dock-Out-Show ging das Spektakel los. Bevor die Teams vorgestellt wurden, zeigte Oracle-Kunstflieger Sean Tucker in seinem kleinen Doppeldecker halsbrecherische Manöver über der Bay, so dass es etwas dauerte, bis sich die Zuschauer von der Genickstarre wieder erholt hatten. Von da an wurde nur noch gejubelt und angefeuert. Bei der Verabschiedung der Teams ins Rennen, beim Rennstart, bei jedem Zentimeter, den die Kiwis in Führung gingen, bei jeder Tonnenrundung und natürlich bei beiden Zieleinfahren. Einfach eine tolle Stimmung.

 ORTUSAs „17“ beim Zielanflug: Leider gibt es beim America’s Cup keinen Zweiten (Foto © Andy)
OTUSAs „17“ beim Zielanflug: Leider gibt es beim America’s Cup keinen Zweiten (Foto © Andy)

Die Boote sind äußerst eindrucksvoll, in der Tat. Wenn sie auf die Foils hüpfen, geht das Staunen los, denn weder Augen noch Gehirn können begreifen, dass ein derart großes Monster sich so schwerelos bewegen kann. Und dann die Beschleunigung. Eben scheinen sie geradezu im Vorstart herumzudümpeln, um dann mit unterdrückter Kraft die Startlinie anzusteuern und beim Kanonenschuss in bester Drag-Racing-Manier mit vollem Vortrieb loszustürzen. Da fällt das Atmen schwer.

Zwei Mal als erste über die Linie: ETNZs zweites Boot „Aotearoa“ enttäuscht nicht (Foto © Andy)
Zwei Mal als erste über die Linie: ETNZs zweites Boot „Aotearoa“ enttäuscht nicht (Foto © Andy)

Auch die beiden Rennen waren, anders als noch im Louis Vuitton Cup erlebt, tatsächlich spannend. Im ersten gab es sogar zwei Führungswechsel, im zweiten zeigte James Spithill, Steuermann auf OTUSA, unverblümt seine Aggressivität. Dabei hätte er ETNZ zu einer Berührung der Boote zwingen können, doch die Kiwis blieben von den Umpires unbestraft.

Guck mal, wer da zu Besuch ist: Ex-Alinghi Taktiker Brad Butterworth bei der Rennanalyse mit Nathan Outteridge (Foto © Andy)
Guck mal, wer da zu Besuch ist: Ex-Alinghi Taktiker Brad Butterworth bei der Rennanalyse mit Chris Draper vom Team Luna Rossa (Foto © Andy)

Heute siegte der besonnenere Steuermann mit der besser aufeinander eingespielten Crew und dem etwas schnelleren Boot, besonders auf der Kreuz. Genau deshalb liefen die Jungs vom anderen Ende der Welt im ersten Rennen 36 und im zweiten 52 Sekunden vor dem Verteidiger über die Ziellinie. Zu glauben, ETNZ könne den Cup schon einpacken, wäre aber verfrüht, denn ORTUSA wird sich so leicht nicht geschlagen geben und weiterentwickeln, um das Defizit des Bootes auszugleichen. Wir bleiben gespannt.

Jul 072013
 

Eine griechische Tragödie zeichnet sich dadurch aus, dass die Figuren irgendwann schicksalhaft in eine ausweglose Situation geraten, aus der sie sich unschuldig und ohne ein tragisches Ende nicht mehr befreien können. Dieser literarischen Vorlage wird die 34ste Austragung des America’s Cups durchaus gerecht.

Prolog: Was bisher geschah

Die Tragödie begann bereits mit der Katastrophe, eigentlich dem letzten Akt: Am 9. Mai hatte das Boot des ersten Herausforderers, des Challenger of Record „Artemis“, einen furchtbaren Trainingsunfall. An jenem Donnerstag verlor der 36jährige Olympionike Andrew „Bart“ Simpsons sein Leben, unter Wasser eingeklemmt in den Trümmern des gekenterten Katamarans.

Noch unter Schock und weit bevor Klarheit über den Unglückshergang bestand, setzte bei der Veranstaltungsorganisation in den folgenden Tagen hektische Betriebsamkeit ein. Unter der Leitung von Regattadirektor Iain Murray erarbeitete ein Komitee 37 Sicherheitsregeln, denen die Teams grundsätzlich zustimmten. Diese Regeln umfassen Spezifizierungen der persönlichen Ausrüstung für die Segler – z.B. Luftflaschen, Helme und Rettungswesten-, generelle Bestimmungen wie den Verzicht auf den Gastplatz an Bord, aber auch Änderungen des sportlichen Reglements (Protokolls) und der Technischen Regularien (Class Rule).

Und hier beginnt das Drama sich zu entfalten. Protokolländerungen können nämlich nur mit den Stimmen der Mehrheit der Teilnehmer, Class Rule-Änderungen nur einstimmig beschlossen werden.

Offenbar stimmten alle Teams den reinen Sicherheitsvorkehrungen zu. Die technischen Änderungen stießen aber nicht überall auf Gegenliebe, Emirates Team New Zealand (ETNZ) und Luna Rossa witterten die Einführung eines Leistungsvorteils für Oracle Team USA und Artemis durch die Hintertür.

Onboard the AC72. Artemis Racing April 11th 2013, Alameda, USA
Vom Unglück verfolgt: Artemis AC72 „Big Red“ (Foto © Sander van der Borch)

Insbesondere die Position, Größe und Form der Ruderflügel hatte es den Kiwis und Italienern angetan, teilen sich ihre Boote doch das neuseeländische Grunddesign und sind damit von allen technischen Änderungen ähnlich schwer betroffen. Diese besagen, dass die Ruderflügel nun über die maximale Breite des Bootes hinausragen, und somit in voller Länge symmetrisch zur Achse des Ruders angebracht werden dürfen. Die ursprüngliche Regel wollte das Überstehen der Flügelchen verhindern, was dazu geführt hatte, dass die Ruderflügel an den Booten der Neuseeländisch-italienischen Kooperation asymmetrisch sind, länger zur Innenseite, kürzer nach außen. Dies ist auch unter den neuen Regeln zulässig, hatte aber ursprünglich großen Einfluss auf die Gesamtarchitektur der Boote: Der allgemeinen Stabilität zuliebe benötigt das Kiwi-Design u.a. voluminösere Rümpfe, die die Geradeausgeschwindigkeit vor dem Wind durch zusätzlichen Luftwiderstand negativ beeinflussen. Einer der vielen Kompromisse, die die Konstruktion eines Renngerätes innerhalb einer Box Rule oder Formal so spannend machen.

Oracle Team USA hingegen hat bereits wesentlich schmalere Rümpfe. Da liegt die Mutmaßung nahe, dass das Team schon längere Zeit mit beiden Rudervarianten, nach altem Reglement und nach neuem  mit symmetrischen, „überbreiten“ Ruderflügeln, trainiert. Im Rennen würden letztere ihrem recht unruhigen, schmalrumpfigen Boot die benötigte Stabilität verleihen. Und Artemis? Das zweite Boot hat das Wasser immer noch nicht gesehen, aber zusätzliche Stabilität, auch jenseits der vor zwei Jahren vereinbarten technischen Spezifikationen, kann sicherlich nicht schaden. Ihre Aussage, Artemis habe ebenfalls Ruder nach alter und neuer Spezifikation spätestens in zwei Wochen einsatzbereit, aber eine dritte Variante nicht verfügbar, ist sehr undurchsichtig. Insbesondere, da eine dritte Variante zur Zeit nicht zur Diskussion steht.

Episode 1: Auf den Weg in den Abgrund

Die Situation verschärfte sich durch dem Umstand, dass die Veranstaltungsgenehmigung bei der Küstenwache noch nicht beantragt war. Wohlgemerkt, wir schreiben immer noch Mitte Mai, das erste Rennen sollte bereits sechs Wochen später stattfinden.

Noch sichtlich mitgenommen vom Verlust seines Freundes Simpson wollte Iain Murray alle 37 Sicherheitsvorschläge schnellstmöglich in Kraft treten lassen und hängte diese einfach an den Genehmigungsantrag. Wie zu erwarten war, wurde am 28. Juni, keine zwei Wochen vor dem ersten Rennen, die Veranstaltungsgenehmigung genau so ausgestellt. Fait accompli. Die Tragödie gewann an Dynamik.

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Nicht zu beneiden um seinen Job: Regatta Direktor Iain Murray (Foto © ACEA/Gilles Martin-Raget)

ETNZ und Luna Rossa, beide nicht überzeugt, dass es sich bei den technischen Änderungen hundertprozentig nur um Sicherheitsfragen drehte, waren nun vor vollendete Regeln ohne ihre Zustimmung gestellt. Nach einem gescheiterten Mediationsversuch durch die Internationale Jury blieb ihnen nun keine andere Wahl, als offiziell die Jury anzurufen, mit der Begründung, dass Regattadirektor Iain Murray seine Kompetenzen überschritten habe, als er de facto die technischen Regeln änderte – eigenmächtig über den Umweg der Veranstaltungsgenehmigung.

Episode 2: Der Blick hinunter

Die Jury, offenbar mit den zeitlichen Abläufen der Veranstaltung nicht übermäßig vertraut, setzte den Verhandlungstag auf den 8. Juli, dem Tag nach dem ersten Rennen. Ja, genau, NACH dem ersten Rennen.

Das wiederum erboste Luna Rossa dermaßen, dass sie ihre Teilnahme an jenem ersten Rennen schlichtweg absagten. Ein Erscheinen hätte wohl ihre Position bei der Jury-Anhörung gefährden können, indem es eine Akzeptanz der Situation demonstriert hätte. Folglich konnten wir ETNZ ein paar – zugegebenermaßen erstaunlich unterhaltsame – Runden drehen sehen, und gratulieren dem Team von der anderen Seite der Welt zu seinem ersten Punkt im Louis Vuitton Cup 2013 (LVC).

010/06/2013 - San Francisco (USA,CA) - 34th America's Cup -
Es hätte so schön werden können… Emirates Team New Zealand gegen Luna Rossa – hier nur beim Training (Foto © ACEA/Gilles Martin-Raget)

Ein Punkt, der weniger wert ist, als eine Rabattmarke von Penny. Denn mit nur drei Herausforderern sind auch automatisch alle drei im Halbfinale des LVC, egal wer gegen wen in den Round Robins gewinnt. Die Absurdität wird noch verdeutlicht, seitdem nach Artemis‘ Unfall jegliche finanzielle Strafen für ein Nichterscheinen gestrichen und die Anzahl der Round Robin-Rennen drastisch vermindert wurden. Kommste heut‘ nich‘, kommste morgen. Oder gar nicht.

Episode 3: Kein Ausweg

Und nun?

Sollte die Jury den Einwänden von ETNZ und Luna Rossa recht geben, steht die Aufrechterhaltung der ursprünglichen technischen Regeln gegen die von der Küstenwache genehmigten neuen technischen Regeln. Alles, was Iain Murray dann tun kann, ist, der Küstenwache zu beweisen, dass die vorgeschlagenen technischen Änderungen doch nicht sicherheitsrelevant sind, und die Genehmigung ohne diese erneut erteilt werden solle. Er hat bereits verlauten lassen, dass er dies nicht tun werde, sondern eher eine Absage der Regatta riskiere. Bloßes Armdrücken? Hoffen wir das mal.

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Verlängerung des 34sten America’s Cup in New York? Luna Rossa droht mit Klage (Foto © ACEA/Gilles Martin-Raget)

Sollte die Jury die Einsprüche von ETNZ und Luna Rossa ablehnen, wird ETNZ mit ihren nach beiden Regelvarianten gültigen Rudern segeln, und Luna Rossa wird sich auf eine Klage vor dem New York Supreme Court, dem Hüter der Stiftungsurkunde des America’s Cups, vorbereiten. Zumindest haben sie das angedroht. Bloßes Armdrücken? Hoffen wir das mal.

Katastrohe: Der letzte Akt

Da unsere Tragödie bereits mit der Katastrophe begonnen hat, braucht es sicherlich keine zweite. Sollte dieser America’s Cup allerdings keinen Ausweg finden, wird das Rennen in New York weitergehen und voraussichtlich erst in Jahren entschieden werden.

Es gibt noch so viel mehr, das unser Drama beeinflusst, so viele Nebenschauplätze, die aus Platz- und Aufmerksamkeitsgründen hier unerwähnt bleiben, und so viele Mutmaßungen, die weit über das hier Beschriebene hinausgehen.

Emirates Team New Zealand practice sailing  NZL5 in San Francisco. 27/6/2013
Stabil auf Kufen: Emirates Team New Zealand beim Training in San Francisco (Foto © Chris Cameron)

Doch, es bleibt noch Hoffnung: Spätestens im September, wenn der eigentliche America’s Cup ausgetragen wird, werden wir eine Regatta sehen, mit einem Verteidiger, der nichts unversucht gelassen hat, sich Vorteile zu verschaffen und mit einem Herausforderer, der versucht, diesen Verteidiger von der Bürde des Cup-Besitzes zu befreien.