Dez 222013
 

rufflesblauemoschoeeDie Segelwelt ist international und SailingAnarchy und SA.de haben schon immer über den nationalen Tellerrand geschaut. Regatten führen rund um dem Globus und wir freuen uns, wenn wir Berichte von Anarchisten aus allen Ecken der Erde erhalten. Raoul, ein Urgestein der deutschen Anarchisten, hat es im vorletzten Jahr aus beruflichen Gründen nach Istanbul verschlagen, jetzt haben wir von ihm einen langen Artikel und Bilder zu der Segelszene an Bosporus und Marmarameer erhalten. Vielen Dank an Raoul und Euch viel Spaß beim Lesen:

Die fahren nicht nur so, die segeln auch so. Wild, emotional und mit der Gewissheit, dass eventuelles Regelwerk mehr als ein Ratgeber denn als Gebot verstanden werden muss. Nur, dass beim Segeln die geringere Geschwindigkeit durch noch mehr Nähe ausgeglichen wird. Es sind noch 15 Sekunden bis zum Startschuss. Sükru hat uns unter die gegnerische GP26 platziert und luvt jetzt laut schreiend den Gegner Richtung Linie.

DSC_2857Während beide Steuerleute wild gestikulieren, kann ich mich noch nicht entscheiden, ob ich wirklich meine Füße durch die Reling nach Luv strecken will. Dort, wo gerade noch eine große Lücke war, droht jetzt die gegnerische Bordwand, die immer näher kommt. Zum Glück verstehe ich nur wenig Türkisch, aber nach Ton und Intensität wird zwischen den Booten heftig diskutiert. Sükru verleiht unserem Wegerecht dadurch Nachdruck, dass er unsere Backbordseite beherzt an die Scheuerleiste der 1 Fuß längeren GP26 anschmiegt und mit unserem Bug mehrere Male an die gegnerische Bordwand klopft. PROTEST! Während ich verwundert unter dem Relingsdraht durchschlüpfe, rutscht unser drahtiger Vorschiffsmann vor mir unter dem Seezaun hervor und reißt am Achterstag die rote Flagge aus ihre Hülse. Verdutze Gesichter im anderen Cockpit. Schuss, Knall,Start und nach Sekunden, die sich wie Minuten anfühlen, löst die GP den Kontakt zu unserer Bordwand und beginnt zu kringeln. Es scheint so, als ob wir den Start zur entscheidenden Wettfahrt der Saison gewonnen haben. Den ganzen Sommer haben wir uns mit den Jungs der GP26 duelliert. Noch ist unklar, wer am Ende die Istanbuler Sportbootmeisterschaften gewinnen wird. Diese Wettfahrt soll die Entscheidung bringen. Und die Sterne stehen gut für uns.

DSC_2962-wpUnseren streitbaren Eigner an der Pinne, habe ich vor zwei Jahren kennen gelernt, als mich der deutsche Ableger einer größeren amerikanische Segel-Website bat, ob ich nicht im Zuge eines Forschungsaufenthaltes in Istanbul ein neues Sportboot besichtigen könne. Bei 30 Knoten Wind und 3 Meter Welle ging es damals im späten März hinaus ins wilde Marmarameer. Ich muss zugeben, dass ich ganz froh war, als Boot und Crew nach einem nur kurzen Schlag wieder schnell im Hafen waren. Als sich danach abzeichnete, dass ich beruflich für längere Zeit nach Istanbul ziehen würde, war ich dankbar für den Kontakt und nahm die Einladung für einen weiteren Segelschlag gerne an. Da war mir aber auch noch nicht klar, worauf ich mich eingelassen hatte.

Sükrü Sanus ist der Kopf hinter dem neuen von Farr Yacht Design entworfenen 25-Fuß Sportboot. Sükrü selbst ist begeisterter Segler. Nach einer langen und erfolgreichen Karriere im 470er, die mit der Teilnahme an den olympischen Spielen 1996 in Atlanta gipfelte, folgte er einer bürgerlichen Karriere. Medizinstudium, Pflicht-Praktikum, Facharzt. Das sportliche Segeln trat dabei aber nie in den Hintergrund, nur das Alter forderte Kompromisse. Anstelle eines 470ers war der Istanbuler Arzt auf der Suche nach einer sportlichen, aber altersgerechten Alternative. Auf der Suche nach einem passenden Boot stellte er aber schnell fest, dass alle großen Klassen auf Entwürfe aus den 80ern und 90ern basierten. Selbst die so erfolgreiche Melges 24 beruht auf einem Entwurf von 1992. Nachdem alle Suche nicht befriedigend verlaufen war, schloss sich Sükrü mit zwei weiteren Segelfreunden zusammen und kontaktierte Farr Yacht Design in Annapolis, USA.Gemeinsam entwickelte man die Idee eines zeitgemäßen, modernen Sportbootes: trailerbar, mit 4-5 Personen zu segeln, Gennaker, Carbonmast, Bugsprit, ein breites, offenes Cockpit und eine Kajüte, die auch ein Wachsystem für längere Regatten erlaubt. Dazu Sicherheitskategorie C, die eine Teilnahme an küstennahen Regatten ermöglicht. Am Ende der Planungsphase war die neue Farr25 OneDesign geboren. Was vom Konzept her wie die Weiterentwicklung der ebenfalls von Farr Yacht Design gezeichneten Platu25 anmutet, zeigt sich bei näherer Betrachtung als ein eigenständiges und radikal neues Sportbootkonzept.

DayTestCodeZeroVon den Linien her ist das Boot aber eher eine verkleinerte TP52. Ein über 60 m² großer Gennaker, der am fast 2 Meter langen Bugsprit gefahren wird, beschleunigt das knapp 900kg wiegende Boot auf mehr als 20 Knoten. Im Gegensatz zu vielen aktuellen Sportbooten hat Farr bei dem Design aber besonderen Wert darauf gelegt, dass das Boot auch am Wind eine gute Leistung abliefert. Dafür sorgt unter anderem eine fast 500kg schwere, T-förmige Bleibombe, die an einem aus Carbon gefertigten Kielschwert steckt. Bei mehreren Rennen kam das kleine Sportboot gesegelt vor deutlich größeren Booten aus der 30-35 Fuß-Klasse im Ziel an, auch Dank seiner guten Upwind-Performance. Das Boot wird in Trabzon am Schwarzen Meer in der Werft von Sükrüs Vater in Serie gebaut. Es geht den Eigentümer des Farr 25 Projektes allerdings weniger um den Gewinn aus der Produktion und Verkauf des Segelbootes, vielmehr will mann anderen Seglern ein tolles, durchdachtes Produkt zu einem angemessenen Preis liefern. Daher auch der von Anfang an verfolgte Ansatz und Anspruch, die Farr 25 als One-Design-Klasse zu etablieren.

Akribisch wie eine Olympia-Kampagne hat Sükrü auch den Bau und die Entwicklung des Bootes vorangetrieben. Nur beste Markenprodukte werden bei dem Bau verwendet, so kommt u.a. die Steueranlage von Jefa, dass Carbon-Rigg liefert Southern-Spars, die Beschläge und Winschen sind von Harken. Die Segel werden von North Sails in Dänemark hergestellt. Alle Trimmleinen und Fallen laufen im Cockpit zusammen, Steuermann und Trimmer haben so direkten Zugriff auf alle wichtigen Schoten und können so das Boot bequem und schnell auf Geschwindigkeit halten.

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Die gleiche Akribie wird mir zum Verhängnis, als ich zum zum Training eingeladen werde. Während wir zum ersten Mal gemeinsam aufs Wasser fahren, werde ich mit meinen Mitstreitern bekannt gemacht. Schnell merke ich, dass ich das schwächste Glied in der Kette bin. Unser Vorschiffsmann besteht aus reinen Muskeln, die er an Bord der türkischen TP52 im Med-Cup als Midbow stärkt. Unser Taktiker war Mitglied im türkischen Admirals-Cup Team. Dazu Sükrü am Ruder und ein Segelmacher von Doyle im Pit. Schon bei der ersten Trainingswende lässt mich das Team genau spüren, wie weit ich hinter her hinke. Während der Rest der Mannschaft schon im Draht hängt, ächze ich durch das Cockpit, verheddere mich in den Schoten und reiße zu allem Unglück auch noch die Fockschot aus der Klemme. Sükrü lächelt nur. Als ob er weiß, dass es noch viele Wenden dauern wird, bis ich mit annähernd gleicher Geschwindigkeit wie meine Mitstreiter durch den Draht komme. Annähernd…

Während die GP 26 fluchend und schreiend kringelt, betrachte ich die Welt zufrieden grinsend upside down. „Hike harder!“. Langsam schwindet das Blut aus meinem Kopf. Während ich noch über Beruhigungsmöglichkeiten für meine Blase nachdenke, kommt auch schon die erste Wende. Durch unseren Zweikampf mit der GP26 bevorteilt, hat sich die lokale Melges24 die bessere Seite des Kurses gekrallt. Die Jungs passieren uns mit 3 Bootslängen voraus. Pustekuchen. Vom Rennwert schenken wir uns wenig mit der Melges. Aber leider ist deren Steuermann auch nicht blind. So heißt es hängen, Böenstriche mitnehmen und hoffen, dass wir das eine oder andere Mal besser raus kommen. Die höhere Am-Wind Geschwindigkeit der Farr25 hilft dazu. An der Luvtonne sind wir wieder dran. Hinter uns noch die GP26, die sich durch das Feld wieder heran gekämpft hat. Dann erst einmal lange nichts. Weiter hinten mehrere Platus, Delphia24s und J80s.

DSC_2753Der Türke mag Dreiecke. Bei knapp 20 Knoten fallen wir an der Luvmarke ab auf einen engen Reach. Während unser Segelmacher mit beherzten Zügen den A-3 Gennaker hoch reißt, bricht über uns die GP26 durch. Auf den Reaches sind die Jungs einfach schneller. Müssen sie aber auch vom Rennwert her sein. Aber auch wir brettern jetzt los. Der Kurs geht direkt auf die Hagia-Sophia auf der europäischen Seite zu. Mit 17 Knoten, und jeder Menge Wasser über dem Deck rasen wir im Formationsflug mit der Melges und der GP26 durch das Fahrwasser. Der Bosporus gehört zu den am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt. Ein munteres Gewimmel an Tankern, Kreuzfahrern, Fähren, Ausflugsbooten und sonstiger Schifffahrt. Sofern irgendwelche Ausweichregeln bestehen, erschließen diese sich einem Westeuropäer nur auf den zweiten Blick. Scheinbar gewinnt, wer größer ist, öfters hupt oder länger Kurs hält.

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Beim Ausweichen vor einer Schnellfähre schießt die Melges vor uns in die Sonne. Die GP und wir schaffen es gerade noch durch zu kommen. An der Tonne die entscheidende Halse: Wir sind ein bisschen schneller und kommen vorne raus. Auf dem zweiten Schenkel nun die Frage, ab wann man den Gennaker birgt. Es wird immer spitzer, dazu kommen wir aus der Landabdeckung und der Wind nimmt noch einmal deutlicher zu. Hinter uns legt sich die GP auf die Nase, uns reicht es, wir bergen das Tuch und gehen auf Nummer sicher, der Abstand ist ausreichend groß und reicht uns bis ins Ziel. Wir gewinnen wir nicht nur diesen Lauf, sondern auch die Meisterschaft! Kurz: der perfekte Abschluss für meine erste Segelsaison in Istanbul.

Das war Teil 1 der Geschichte aus dem Orient, Teil 2 folgt zu Weihnachten.