SA-Original
[Start] [Forum] [SailingAnarchy-Cup] [Gebraucht] [Archiv] [Sailing Anarchy?] [Impressum]

Freiwillige vor!

29.07.2012 - Die Olympischen Spiel 2012 sind in London feierlich eröffnet worden. Hintern den Kulissen der größten Sportveranstaltung der Welt sorgen neben über 100.000 bezahlten Mitarbeitern zehntausenden von Freiwilligen dafür, dass die Wettkämpfe so problemlos wie möglich über die Bühne gehen. Unter den mehr als 70.000 als Game Makers bezeichneten Freiwilligen ist mit Stefan Kunstmann aus Kiel auch ein  Segelanarchist. Grund genug, Stefan zu fragen und hier unser Olympic Innerview:

Let the Games begin! © London 2012
Let the Games begin! © London 2012

SailingAnarchy.de: Stefan, wie kam es, dass Du als Deutscher in England bei der Riesenveranstaltung Olympia 2012 mitmachst?

Stefan Kunstmann: Ich lebe jetzt schon ein paar Jahre in London und wollte unbedingt bei den Spielen dabei sein. Seit 2008 arbeite ich beim Royal Ocean Racing Club, aber da ich meine Qualifikation zum International Race Officer erst in 2009 erworben habe, war die Bewerbungsfrist als ISAF Technical Official bereits abgelaufen. Ich habe mich also wie 75.000 andere bei dem GamesMaker Portal im Internet als freiwilliger „GamesMaker“ gemeldet.

SA.de: “Dabeisein ist alles!” Doch bei einer solch allgemeinen Bewerbung war dem Zufall wohl Tor & Tür geöffnet?
Stefan: Glücklicherweise hat Jerome Pels, der ISAF CEO, dem London Organising Committee einen Tipp gegeben, mich wegen meiner Erfahrung auf die Liste der „Special Volunteeers“ zu setzen. Und so bin ich heute, zweieinhalb Jahre später, im Zug nach Weymouth und gerade an Christchurch Bay vorbei – und die Aufregung steigt mit jeder Meile.

SA.de: Bislang kannte ich nur die Angebote des DSV, um SeglerInnen als Schiedsrichter und Wettfahrtleiter an die Vereinsarbeit heranzuführen und auszubilden.
Stefan: In Deutschland könnte noch ein bisschen mehr getan werden, um die Ausbildungsqualität zu erhöhen und mehr Chancen für internationale Einsätze zu schaffen. Insbesondere benötigen wir für die Durchführung von Regatten junge Menschen, die Lust haben, auch ohne Bezahlung, aber dennoch zuverlässig in den Teams der Wettfahrtleitungen tätig zu werden. Die Belohnung dafür aber kann man ohnehin nicht in Geld aufrechnen: In meinen 17 Jahren Regattaleitung habe ich viele „Abenteuer“ erlebt, Freunde fürs Leben gewonnen und tolle Tage auf dem Wasser verbracht. Ich muss zugeben, dass ich bei kaum einer anderen Sache in meinem Leben so lange „drangeblieben“ bin.

SA.de: Gibt es in England eine andere, umfassender Ausbildung für diese wichtige Aufgabe im Segelsport?
Stefan:Der englische Seglerverband, die Royal Yachting Association, ist die größte Member National Authrority innerhalb der ISAF, sie hat etwa 500.000 Mitglieder. Die Seminar und Trainingsangebote reichen von Day Skipper bis hin zum Wettfahrtleiter oder Jury, auf einem langen, aber begleiteten Weg. Unglücklicherweise konnte ich diese Angebote als Deutscher nur wenig oder gar nicht nutzen; aber ich werde hin und wieder eingesetzt, wenn man eine andere Nationalität als GBR benötigt und nicht viel Geld für Reisekosten ausgeben möchte …Aber im letzten Jahr war ich beispielsweise als Race Officer beim Middle Sea Race in Malta – das war als Austauschprogramm für Race Officer von RYA und Eurosaf organisiert und bietet so die Chance, außerhalb der eigenen Gewässer Erfahrungen zu sammeln.

SA.de: Neben dem RORC bist Du auch Teil von „Black Flag“, dass alle Aufgaben rund um Seeregatten mit einem Netzwerk von Spezialisten als Dienstleister betreut. Was ist bereits hinter den Kulissen einer solchen Regatta schon alles erledigt, bevor der Startschuß zur ersten Wettfahrt fällt?
Stefan: Freunde von mir und ich haben vor einigen Jahren BlackFlag als Plattform ins Leben gerufen. Viele Veranstalter können oder wollen Ehrenamtliche wegen mangelnder Erfahrung nicht einsetzen und lieber einen Vertrag mit einem professionellen Dienstleister eingehen. BlackFlag macht aber noch mehr, beispielsweise haben wir einen aufwendigen Feedbackprozess mit den Veranstaltern, um unsere Performance und Qualität messbar zu machen um so weiter an Verbesserungen arbeiten zu können. Alles, was BlackFlag „verdient“ wird in Ausrüstung, für die Qualitätsverbesserung oder Sicherheit investiert. Ein Laser-Rangefinder z.B. gibt nun einmal konsistentere Ergebnisse beim Auslegen einer Startlinie als ein GPS - Gerät. Und jeder Schlauchbootfahrer benötigt Schwimmweste und Ölzeug, das sehr teuer sein kann – da helfen wir unseren jungen Mitgliedern, die z.T. Schüler oder Studenten sind, natürlich gern aus.

SA.de: Und so kam es neben RORC, BlackFlag und Kieler Woche zu Deinem Einsatz bei den Olympischen Spielen?
Stefan: Ich denke, dass alles ein bisschen dazu beigetragen hat, dass ich mit „Empfehlung“ zu den Spielen fahren kann. Auf der Kieler Woche habe ich mich vom Schlauchbootfahrer zum Gesamtwettfahrtleiter aller Offshore Klassen hochgearbeitet. Dort habe ich das Handwerkszeug gelernt und die Erfahrung gewonnen, die dazu geführt haben, dass der RORC auf mich aufmerksam wurde. Und RORC und BlackFlag haben mir schlussendlich das Netzwerk zugänglich gemacht, damit die richtigen Leute zur richtigen Zeit an mich denken.

470 vor Weymouth - © London 2012
470 vor Weymouth - © London 2012

SA.de: Welche Aufgaben hast Du bei den Wettbewerben vor Weymouth übernommen? Welche Klassen / Bahnen betreust Du?
Stefan: Ich habe im letzten August leider das Testevent wegen einer Erkrankung ausfallen lassen müssen, so dass ich es unfair fand, weiter auf dem Finn- und Starkurs zu bestehen. LOCOG hat mir bei unserem Gespräch angeboten, statt dessen in das Protokoll - Team zu gehen. Der „Grandstand“ – also die VIP-Tribüne – ist bei Segelwettbewerben auf dem Wasser und ich werde die mir anvertrauten Gäste (IOC Member, CEOs und Super-VIPs der Sponsoren, Minister und Präsidenten) auf Booten zu den Segelwettbewerben fahren und nötigenfalls ein bisschen was zu dem Schauspiel auf dem Wasser erläutern. Seb Blair, der natürlich Mitglied dieser Familie ist, benötigt sicher keine Erläuterungen, war er doch selbst Medaillenträger bei den Segelwettbewerben. Wenn aber der Präsident von Mexiko mal nach seinen Athleten schauen möchte, kann es durchaus passieren, dass er bei mir an Bord ist.

SA.de:Üblicherweise bringst Du diese Leistung als bezahlter Profi. Was sind die Goodies von Deinem Job als Olympic Volunteer neben einem dicken Plus im CV? Freier Eintritt für alle anderen Veranstaltungen? Ein T-Shirt mit dem 2012 Maskottchen? Ein Danke von der Queen oder die Freude und Genugtuung, Teil der großen Olympischen Gemeinschaft zu sein?
Stefan: All das, und noch viel mehr! Die Queen habe ich übrigens gerade getroffen, als sie anlässlich ihrer Jubilee-Tour die neue Lifeboat Station der RNLI in Cowes eingeweiht hat. Dort fand der Brewin Dolphin Commodores’ Cup genau zu dieser Zeit statt, so dass ich nur wenige Meter von ihr entfernt einen gnädigen Wink in meine Richtung erhaschen konnte. Sie ist ja zudem Patronin des RORC.

Jubillee Tour der Queen 2012 -  Eröffnung der neuen Rettungsbootstation in Cowes
HM Queen Elisabeth II. - Cowes 2012 -  Photo © Stefan Kunstmann

Das Plus im CV ist sicher ein guter Grund – aber viel wichtiger ist das Olympische Motto: Dabeisein ist alles. Ich bin nur ein kleines Rädchen und werde zusammen mit meinen 74.999 Kollegen versuchen, dass wichtigste Sportereignis der Welt zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. Und nicht zuletzt unvergesslich für mich – so egoistisch bin ich schon!

Im Übrigen werde ich nicht überall bezahlt: Ich habe mich entschieden, für 2 Events  weiter ehrenamtlich zu arbeiten. Dazu gehören natürlich die Olympiade, aber auch die Kieler Woche. Meiner Heimat habe ich schließlich zu verdanken, wo ich heute bin und das ich einen Beruf ausüben darf, der mein Hobby ist und mir viel Freude bereitet. Das einzige, was stört, ist, dass das eigene Segeln ein klein wenig zu kurz kommt…

Stefan Kunstmann - Kieler Woche 2012 - Photo © BlackFlag
Stefan Kunstmann - Kieler Woche 2012 - Photo © BlackFlag

SA.de: Was sind Deine Pläne für die Zunkunft?
Stefan: Neben meiner Tätigkeit für den RORC, Black Flag, Kieler Woche habe ich den Ehrgeiz als ISAF Technical Official bei den Olympischen Spielen 2012 in Rio dabei zu sein.

Stefan, vielen Dank für Deine Zeit für dieses Interview. Wir sind uns sicher, dass Du in Weymouth eine tolle Zeit erleben wirst, von der Du noch lange zu erzählen hast. Und natürlich freuen wir uns, wenn Du neben all dem Trubel um Olympia auch noch ein Auge auf den Regattabahnen hast und falls Du dabei etwas für SailingAnarchy.de findest: Immer her damit!

 

[Start] [Forum] [SailingAnarchy-Cup] [Gebraucht] [Archiv] [Sailing Anarchy?] [Impressum]
SA-Original