Jochen Schümann im Interview mit SailingAnarchy
Jochen Schümann - Photocopyright: SailingAnarchy.de
22.09.2010 - Vor Sardinien treffen sich die Teams des Audi MedCup Circuit zur Abschlußregatta der Saison 2010. Anarchistin Judy aka Rennmaus ist vor Ort live dabei und hat die Gelegenheit genutzt, ein Interview mit Jochen Schümann, Skipper des französisch-deutschen Team All4One zu führen. Vielen Dank dafür an Judy und Euch viel Spaß beim Lesen:
Die letzte Veranstaltung jeder Wettfahrtserie hat immer auch etwas Wehmütiges. Rückschau ist angesagt, die Zukunft ist ungewiss, die aktuellen Rennen müssen aufmerksam gesegelt werden, um sein Ranking zu verbessern oder Positionen zu halten. Das ist beim Audi MedCup in Cagliari auf Sardinien nicht anders, wie Jochen Schümann, Steuermann des Teams All4One indirekt bei unserem Gespräch bestätigte.
SailingAnarchy: "Jochen, bitte beschreib doch mal, wie Du für Dein Team die Audi MedCup-Saison bis jetzt siehst." Jochen Schümann: "Oh, das ist ja gleich die große Zusammenfassung. Ich denke, nachdem wir schon einmal 2008 eine MedCup-Saison gesegelt sind und diese als Fünfter auch relativ erfolgreich zu Ende gebracht haben. Bei der WM waren wir dann Dritter, haben wir uns dann leider für ein Zwischenjahr verabschieden müssen. In diesem Jahr sind wir eigentlich als Last-Minute-Team zurückgekommen, mit einem Charterboot, also ein klein bisschen der Underdog, ganz generell, bisschen spät, bisschen altes Boot, aber ein frisches Team. Und diesen Schwung haben wir eigentlich sehr gut hier ins Spiel gebracht. In Cascais und in Marseille jeweils Plätze auf dem Podium, als Zweiter und Dritter, was für alle anderen, die länger dabei sind und mit größerem Einsatz und sich auch mit mehr Zeit vorbereitet hatten, eine große Überraschung war. Das war natürlich für uns auch ein Super-Auftritt. Zwischendurch haben wir leider ein bisschen den Takt verloren, weil sich auch die finanzielle schmale Seite von unserem Team ausgewirkt hat und natürlich auch ein paar Fehler beim Segeln passiert sind, so dass wir in Barcelona und Cartagena nicht ganz so gut drauf waren. Wie gesagt, durchaus mit guten Einzelergebnissen, aber insgesamt doch eher in der zweiten Hälfte des Feldes, wo wir aus der Sicht mancher Leute auch hingehören. Wir glauben aber eher umgekehrt, wir wollen eigentlich wieder dort anschließen, wo wir die Saison begonnen haben und glauben, dass wir recht gute Chancen haben, wieder in der oberen Hälfte oder vielleicht sogar auf dem Podium zu segeln. Wenn man sich die heutigen Trainingsrennen anschaut, dann haben wir gezeigt, dass wir auch ganz dicht am Podium dran sein können, und das ist, wo wir hinwollen. Dazwischen gibt's 'ne Menge Gründe für das Eine oder das Andere, die aber, glaube ich, weit über Sailing Anarchy hinausgehen, momentan.
Region of Sardinia Trophy - TP52 Series: Start of the Race 1 - Photocopyright: Ian Roman
SA: "Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen, sowohl kulturell als auch sprachlich? Ich stelle es mir nicht so ganz einfach vor." JS: "Das ist richtig. Sicher sind die Kulturen auseinander, aber das ist weder ein rein kulturelles Problem, sondern auch... im Leistungssport, wo es auf Sekunden ankommt und auf eine gemeinsame Sprache, die wir auch sehr schnell gefunden haben, das ist Englisch an Bord, was im Segeln relativ einfach ist. Aber eben das gemeinsame Verständnis mit der gemeinsamen Sprache aufzubauen, braucht Zeit. Und in der Hinsicht ist es bei uns eben so, dass wir mit Deutschen, Franzosen und einigen anderen Nationalitäten ein neues Team aufbauen, das sich natürlich finden muss. Die Kiwis segeln schon zehn Jahre in der gleichen Konstellation und andere Teams ebenso. Deswegen sage ich ja, wir sind in vielerlei Hinsicht 'nen Underdog-Team, dass wachsen muss und wachsen will, deshalb sind wir auch angetreten. Das wir Potential haben, zeigen wir mit der guten Platzierung und das andere braucht 'nen bisschen Zeit, um zu reifen.
Wie gesagt, diese gemeinsame Kultur, die muss wachsen. Man muss sich als multikulturelles Team, ähnlich wie es bei Alinghi war, das wächst nicht in einem Jahr, das braucht zwei oder drei Jahre Vorbereitungszeit. Man steht im Wettkampf, man lernt in der Wettkampfsituation damit umzugehen, man entwickelt Verständnis füreinander, für die Fehler, die passieren, diese Fehler positiv in Lösungen ummünzen, da ist 'ne Menge zu tun. Ich bin überzeugt, das würde genauso schwer sein, wenn wir ein komplett französisches Team oder komplett deutsches Team wären. Das würde auch nicht viel anders sein. Auch da muss man bei gleicher Sprache, bei gleicher Nationalität eine gemeinsame Teamkultur finden, dass hat also nichts mit den Franzosen oder mit den Deutschen zu tun, aber viel mit den Entscheidungsprozessen an Bord. Wie man miteinander umgeht, wie man positiv Probleme überwindet, dass sind eigentlich die Sachen, die man entwickeln muss. Und da können auch selten Leute von außen helfen.
SA: "In den letzten zehn Tagen ist ja allerhand passiert, seit BMW/Oracle Katamarane für den nächsten America's Cup verkündet hat. Was meinst Du, wie wirkt sich das aus auf die professionellen Monohull-Segelserien, wie z.B. den Audi MedCup, die World Match Racing Tour aus? JS: "Gute Frage. Natürlich haben wir alle lange darauf gewartet, dass Russell endlich sagt, wo er hin will. Die ganz große Überraschung war es nicht, weil diese Vermutung schon lange im Raum hing, bevor er sie verkündet hat. Ich bin froh, dass es endlich passiert ist. Das heißt natürlich, dass der America's Cup eine ganz neue Welt erobern wird. Nicht nur die der Katamarane, sondern auch die der Wing Sails und der Wing-Masten. Die Zeiten im America's Cup, wo wir ein Segel hochgezogen oder geborgen haben, die sind vorbei. Das wird jetzt alles starr aufgestellt und dann durch die Gegend gejagt. Ich glaube, das ist eine riesige Herausforderung für Techniker und Ingenieure. Der America's Cup wird definitiv ein großes Testgebiet sein, um diese Entwicklung voranzutreiben und in dieser Hinsicht sicher spektakulär werden.
Region of Sardinia Trophy - 52 Series: Fleet downwind - Copyright: Ian Roman/Audi MedCup
Segeln wird immer Segeln sein. Ich glaube, die meisten Leute, die an Land sitzen, die selbst nicht Segler sind, die verstehen unter Segeln etwas anderes als das, was da demnächst im America's Cup über das Wasser jagen wird. Man kann nur mutmassen, ob dieses Konzept dem America's Cup hilft oder ihn behindert. Ich weiß es nicht. Ich glaube, das wird sich zeigen. Meine persönliche Meinung ist, dass pure Geschwindigkeit allein den Event nicht besser oder schlechter macht. Wenn man richtig schnell sein will, dann würde man wahrscheinlich Flugzeug fliegen beim Red Bull Air Race oder man würde in die Formel 1 gehen, dann ist man noch viel schneller. Ich glaube, die Faszination Segeln macht eben mehr aus als nur die Geschwindigkeit. Ich persönlich hätte mehr daran geglaubt, an schöne, moderne Yachten, wo nach wie vor Crew-Work sichtbar ist. Wo viel passiert, viel Action ist, viele Sachen an Bord passieren, aber wie gesagt, Russell hat die Regeln in der Hand, er hat sich das dazu Recht erfochten. Es wird für einige eine Herausforderung sein. Das Schwierigste ist die Zeit bis die restlichen, noch ausstehenden Informationen kommen: Wo findet der Cup statt, wie ist das genaue Format, all diese Sachen fehlen noch, um einen Business Plan zu machen für die Teams, die wirklich teilnehmen wollen. Und auch noch die genaue Regel, denn ein 72ft Katamaran kann viel sein. Das muss man jetzt erst genau sehen, damit man anfangen kann zu überlegen. Russell kann das jetzt schon, andere sind eventuell in den Startlöchern und noch weitere werden's vielleicht beiseite legen und sagen 'Wir gucken uns das mal in Ruhe an und sind beim nächsten Mal dabei.'
SA: "Und zu welcher Kategorie gehört Ihr?" JS: "Das wird sich noch zeigen. Ich glaube, wirklich wichtig ist, dass wir schnell die restlichen Informationen kriegen. Wir sind natürlich gespannt, wo der Cup hingeht, das ist die Grundlage, um unsere Partner kompetent und komplett anzusprechen und sie mitzunehmen. Aber dazu muss man erstmal das Ziel kennen. Ich glaube, anonym kann man so'n Ding in der Größenordnung nicht verkaufen. Und dass der Cup viel billiger wird als die vergangenen, das ist eigentlich selbst an Russells Aussagen schon zu sehen, nicht unbedingt der Fall. Es ist eine gigantische Technologieherausforderung und das kostet Ingenieurstunden und die Ingenieurstunden werden Geld kosten.
Region of Sardinia Trophy, Emirates Team New Zealand - Copyright: Ainhoa Sanchez/Audi MedCup
SA: "Jetzt sind wir hier beim MedCup und für die letzte Veranstaltung wünsche ich Euch viel Glück, viel Erfolg, und vor allem viel Spaß." JS: "Der Audi MedCup wird sicher davon profitieren, weil er schon jetzt sehr spektakulär ist. Ich glaube, dass nicht alle Teams zum Tragflügel fliegen verschwinden werden, viele werden wohl noch bei der TP 52 bleiben. Das ist momentan die Rennserie mit den größten Box-Rule-Booten, dass findet auf höchsten Niveau statt und mit einem der besten Partner. Ich denke, was hier aufgebaut wurde, u.a. Live-TV, Virtual Spectator usw. sorgt dafür, dass Segeln als Sport durch den Audi MedCup sehr, sehr gut in der Medienöffentlichkeit rüberkommt. Ich kann mir vorstellen, dass sich diese Serie in der Zukunft noch weiter entwickelt."
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