SA-Original

[Start] [Forum] [Archiv] [Was ist Sailing Anarchy?] [Impressum]

Anfang Dezember hatte ich die Gelegenheit, das lange angekündigte Interview mit der Berliner Seglerin Dr. Melanie Aalburg zu führen. Frau Dr. Aalburg, eine sympathische, eher zierliche Erscheinung, ist Teil der Crew von Frauen, die im kommenden Frühsommer auf einer X-612 vom DHH an der Hochseeregatta HSH Nordbank blue race teilnehmen wird.

Melanie Aalburg PortaitSA: Ich freue mich, Dich im SC Gothia begrüßen zu dürfen. Ende November habe ich Dich auf der Bootsmesse in Berlin zum ersten Mal getroffen und ich war überrascht, dass ich anscheinend der einzige Gothe bin, der Dich noch nicht kannte. Da stellte sich für mich die Frage: Seit wann segelst Du?
MA
: Meine Eltern haben mich und meine Geschwister von Kindesbeinen an zum Segeln mitgenommen. Hier in Berlin und schon früh auf ausgedehnten Törns in Nord- und Ostsee haben wir Seemannschaft beim Fahrtensegeln aufgesogen. 1985 z.B. segelten meine Eltern mit uns 3 Kindern auf unserer 32´Yacht hoch nach Island, ich war da 11 Jahre alt.
SA: Das war noch vor den Zeiten von GPS, also Fahrtensegelsport im besten Sinne mit Astronavigation, Loran und Decca Funkpeiler, Kartenarbeit und mitkoppeln? Mit einem weiten Satz über den Nordatlantik nach Island, das auch heute trotz der modernen Navigations – und Kommunikationstechnik kein alltägliches Ziel für einen Familienfahrtentörn ist? Hut ab und Respekt vor den Eltern und ihrer Crew.
MA: Wir haben uns gefreut, daß unsere Reisen häufig mit den begehrtesten Preisen wie z.B. dem Commodorepreis, Silberner Globus usw. gewürdigt wurden. Sogar am Schlimmbachpreis waren wir hinter der Fam. Böttger und Wilfried Erdmann ganz dicht dran. Mit 17 Jahren habe ich meinen ersten Törn als Skipperin geplant und durchgeführt. Diese Reise wurde von der KA mit der Silbernen Möve für den besten Jugendtörn des Jahres ausgezeichnet.
SA: Also in jungen Jahren bereits gewaltig Erfahrung auf See gewonnen, ich vermute aber, da ist noch mehr?
MA:Gegen Ende meines Medizinstudiums hatte ich die Gelegenheit auf der ALBATROS von Manfred Kerstan den Südatlantik zu überqueren. Kerstan ist mit 24 Atlantiküberquerungen einer der erfahrensten Fahrten- und Hochseeregattasegler in Deutschland und auf dieser Reise von Buenos Aires nach Kapstadt habe ich viel über das Blauwassersegeln von ihm gelernt. Wir waren 29 Tage mit seiner Swan 62 unterwegs, 8 Tage länger als eingeplant, alle 3 Tage ein neues Windsystem, nichts da mit den westlichen Winden in den Roaring Forthies zwischen Südamerika und Südafrika.
SA: Fahrtensegeln, Hochseesegeln, Regattasegeln – keine fremden Welten also für Dich. Ich vermute, Deine Eltern haben Dir auch hier in Berlin das Segeln ermöglicht?
MA: Richtig, ich habe die klassische OPTI-Kind Karriere in unserem Verein SVSt durchlaufen, bin dann in den 420er umgestiegen und später Europe gesegelt. Meine Europe habe ich behalten und segle das Boot auch heute immer mal wieder. Dann bin ich noch im LASER 2 aktiv und habe u.a. 2 x die Warnemünder Woche in dieser Klasse gewonnen. In die Sportbootklasse habe ich in dieser Saison reingeschnuppert und es hat mir sehr viel Spaß gemacht, auf der ESSE 850 hier in Berlin auf Anhieb die Berlin Yardstick Masters zu gewinnen.MA-ESSE_850
SA: Und neben der ganzen Segelei ist aus Dir auch noch was Vernünftiges geworden: Doktor der Medizin. Ich vermute, dass wird nicht von Nachteil gewesen sein bei der Auswahl für die Crew zum HSH Nordbank blue race.
MA: Nein, ein Nachteil war es sicher nicht, obwohl ich mich primär als Seglerin und nicht als Medizinerin sehe. Aufgrund meiner Erfahrung arbeite ich innerhalb des Teams in den Gruppen “Medizin und Sicherheit” und “Wetter und Navigation” mit. Regatta- und Hochseesegeln ist ein Sport, bei dem der ganze Körper ständig belastet wird. Auch wenn man während seiner Wache mal “nur” auf der Kante sitzt, ist der Körper ständig in Bewegung, sind Muskeln aktiv, um die Balance zu halten. Auch unter Deck ist der Körper ständig in Bewegung, Ruhe ist auf einer Segelyacht eigentlich eine Ausnahme. Seesegeln ist von daher ein Ausdauersport und Ausdauer und Belastung kann trainiert werden. Meine Kenntnisse als Allgemein– und Sportmedizinerin sowie meine Erfahrungen als Marathonläuferin helfen mir bei der Ausarbeitung der individuellen Trainingspläne durchaus weiter.
SA: Was gibst Du Deinen Mitseglerinnen als Training für die Regatta vor?
MA: Jede soll den Ausdauersport betreiben, den sie mag und mit Spaß trainiert: Radfahren, Schwimmen, Spinning im Fitness-Studion oder einfach Dauerlauf. Ziel ist es, dass jede von uns im Frühjahr einer Dauerbelastung über mindestens zwei Stunden standhalten kann. Ein weiteres Ziel ist, dass die Seglerinnen hierbei lernen ihre Grenzen zu erkennen  und in ihren Körper reinzuhören, um z.B. der Wachführerin rechtzeitig Bescheid geben zu können, wenn sie nicht mehr können. Wir hatten während der Vorbereitungsregatten den Fall, dass eine Teilnehmerin einen physischen Zusammenbruch erlitten hat. Diese Situation ist im Sinne einer guten Seemannschaft unbedingt zu vermeiden. Für das Krafttraining habe ich die einzelnen Positionen an Bord genau unter die Lupe genommen. Ich erhoffe mir dadurch ein sehr effektives Training.
SA: Wie wurden die Mitglieder für die Crew ausgewählt, wer hat das Projekt angeschoben?
MA: Die Idee, daß ein reines Frauenteam an dem Nordbank blue race teilnehmen soll, ist auf einer J24 entstanden. Eine sehr erfolgreiche Frauencrew aus dem Mühlenberger Segelclub in Hamburg hat das Projekt angeschoben. Es sollte eine Kooperation mit dem  DHH stattfinden, der ja für sein seeseglerisches Knowhow bekannt ist und außerdem über geeignete Segelyachten für eine Nordatlantik Regatta verfügt. Leider gehen der MSC und der DHH inzwischen getrennte Wege. Ich selbst bin von einem Bekannten während eines Treffens der Kreuzerabteilung in Hamburg auf das Projekt angesprochen worden und habe mich sofort beim DHH beworben.
SA: Wie ging es dann weiter?MA-Ruder_Albatros
MA: Durch den DHH wurde eine Auswahl unter den Bewerberinnen vorgenommen. Anhand von seglerischem Lebenslauf und persönlichen Gesprächen wurden ab April 06 erste Sichtungen durchgeführt. Bei diesen Wochenendterminen wurde nicht nur auf Yachten des DHH gemeinsam gesegelt, sondern auch die Fitness getestet. Eine zweite Sichtung fand dann anläßlich des Pre blue race Ende Mai 2006 statt. Der DHH hatte seine Yachten WORLD OF TUI und ALBATROS für diese Regatta von Kiel über Kopenhagen rund Skagen nach Hamburg gemeldet. Mit einem erfahren Skipper an Bord wurden beide Segelschiffe von den Teilnehmerinnen der letzten Sichtung gesegelt.
SA: Wenn ich mich recht erinnere, ging bei dem Rennen wettermäßig ganz schön die Post ab, oder?
MA: Ja, in diesem Jahr war es wirklich recht hart. Bis auf das größte Schiff, die UCA von Dr. Klaus Murmann, haben alle 23 Skipper die Regatta abgebrochen. Der Sturm und die Welle waren echt beeindruckend.
SA: Was ist passiert?
MA: Die Crew der ALBATROS, eine X-482, auf der ich als Co-Skipperin und Wachführerin gefahren bin, hat sich wacker geschlagen. Bei dem Zwischenstopp in Kopenhagen lagen wir noch auf dem 9. Platz von 24 Yachten. Nachdem wir Skagen gerundet hatten, standen uns in der Jammerbucht bis zu 55 ktn Wind entgegen. Da gab es kein Luvgewinn mehr und nachdem auch noch der Generator aus den Fugen gerissen war, liefen wir ab und surften mit 15 Knoten nur unter der kleinen Genua nach Skagen zurück. Zu unserem Erstaunen waren schon fast alle andern da.
SA: Und nun steht die Crew fest?
MA: Ja. Unsere Skipperin  Dr. Inken Braunschmidt ist sehr erfahren und hat bereits an etlichen Hochseeregatten teilgenommen. Unter anderem ist sie einen großen Teil des Hongkong Challenge Round the World Race gesegelt. Sie hat im Oktober nochmal 14 Tage auf der ALBATROS in zwei Einwochentörns mit z.T. unterschiedlichen Crews die letzte Sichtung mit uns durchgeführt. Eine Woche später wurde dann endlich die Crew nominiert.blue-race-Crew
SA: Wie wird das Projekt finanziert?
MA: Als Hauptsponsor konnte der DHH die Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG an Bord der X-612 Glücksburg holen. Aus diesem Anlaß wird die Yacht nach ihrer Überführung in die Karibik im Rahmen der ARC umgetauft werden.
SA: Fallen für Dich als Crewmitglied Kosten an?
MA: Ja, bisher fallen für uns Frauen durchaus Kosten an, die von uns selber übernommen werden, auch wenn zum Glück die Eberhard Wienhold Stiftung einiges trägt, wofür wir sehr dankbar sind. Wir sind auf der Suche nach weiteren Sponsoren und würden uns sehr freuen, wenn Unternehmen oder Privatpersonen uns finanziell oder mit Sachmitteln unterstützen würden. Als ersten Anlaufpunkt haben wir mit
www.xx-sailingteam.de eine Website ins Netz gestellt, also bitte mal draufklicken und sich bei uns melden.
SA: Neben den finanziellen Aspekten ist die notwendige Vorbereitungszeit für solch ein Projekt bestimmt ein Killerargument für engagierte Seglerinnen. Wie sieht die zeitliche Belastung bei Dir aus?
MA: Ich habe in diesem Punkt großes Glück, das Nordbank blue race findet erst nach meiner Facharztprüfung statt und paßt daher gut in meine berufliche Planung hinein. Aber Du hast Recht, der Zeitaufwand ist gewaltig und wurde auch von etlichen Bewerberinnen unterschätzt. Sichtungstermine, Trainingsregatten, Teamtraining z.B. jetzt im Oktober 1 bzw. 2 Wochen, im kommenden Jahr das Sicherheitstraining, die Regatta selbst mit ca. 19 Renntagen plus Vor-und Nachbereitung. Dazu die Zeit für An- und Abreise, dass ist leider nicht mit dem üblichen Jahresurlaub zu schaffen. Außerdem planen wir, dass die gesamte Crew im März noch 14 Tage gemeinsam in der Karibik trainieren kann, auch muß das Schiff vor der Regatta mindestens noch eine Woche präparieren werden.
SA: Hut ab vor den Frauen, die diese Belastungen, auf sich nehmen.
MA: Es ist bestimmt kein Zufall, dass nur eine meiner Crewkameradinnen Kinder hat. Als Hausfrau und Mutter ist das Projekt zeitlich kaum zu bewältigen. Die meisten Frauen haben einen Arbeitgeber, der es ihnen z.B. durch Sonderurlaub ermöglicht, diese wohl einmalige Chance für sich zu nutzen. Ich persönlich bin froh, dass meine berufliche Planung nicht mit diesem Projekt kollidiert.
SA: Wie setzt sich die Crew zusammen?
MA: Die Crew ist im Durchschnitt 33 Jahre alt, der überwiegende Teil kommt aus Deutschland und mit unserer Weltumseglerin aus Kroatien bekommt das Team aber auch einen internationalen Touch.
SA: Mitte Juni 2007 geht es dann für Euch los: Nordatlantik – die Wetterküche für Europa. Was wird Euch erwarten?
MA: Wir haben uns natürlich schon auf die zu erwartende Wettersituation vorbereitet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir es mit ostwärts ziehenden Tiefdruckgebieten zu tun haben. Da würden wir uns gerne mit ranhängen. Also kräftigem Wind in die richtige Richtung, Spinnaker und Power-Reachkurse, aber mal abwarten, ob das Wetter auch so ist, wie die Statistik es vermuten läßt.
SA:MA-Navigation Werdet Ihr die Regattataktik an Bord abstimmen, habt ihr eine Navigatorin, die wie auf den Volvo Ocean Racern nur am Laptop sitzt und die Wetterdaten interpretieren wird?
MA: Nein, ein ausschließlich für die Navigation und Wetter zuständiges Crewmitglied wird  es nicht geben. Damit werden sich mehrere befassen. Ich arbeite in der Gruppe mit, die sich im Vorfeld um Wetter und Navigation kümmert. Während des Rennens wird uns das bestimmt helfen, Wettersysteme rechtzeitig zu erkennen und in unsere Regattastrategie einbinden zu können. Zusätzlich werden wir durch den Meteorologen Dr. Menno Schrader als unseren Router im Rennen unterstützt.
SA: New York – Cuxhafen, das hört sich unkompliziert an, aber wenn man sich den Überflieger anschaut, erkennt man, dass dort einige Tücken verborgen sind.
MA: Das  erste Thema nach dem Start wird wohl der berüchtigte Nebel auf den Grand Banks sein. Die Regattaleitung gibt außerdem am Vortag des Starts einen Point Alpha bekannt, den alle Yachten südlich passieren müssen, um den Eisbergen, die mit dem Labradorstrom nach Süden treiben, auszuweichen. Dann geht es mit dem Golfstrom möglichst südlich der Tiefs über den Nordatlantik Richtung England, nördlich von Fair Isle in die Nordsee rein und Ziel ist dann in der Elbmündung bei Cuxhafen. Ich denke, daß diese Strecke uns bei dem zu erwartenden Wetter alles abverlangen wird und eine echte Herausforderung an Skipperin, Crew und Schiff sein wird.
SA: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, Melanie. Ich wünsche Dir und Deinen Mitsegelerinnen eine spannende, schnelle Regatta und das ihr alle gesund und munter in Cuxhafen eintrefft. Ich würde mich sehr freuen, wenn Du uns bei SA-D über den Stand des Projektes in den nächsten Monaten auf dem Laufenden halten würdest
MA: Keine Ursache, es hat mir Spaß gemacht, Dich und SA-D über unser Vorhaben zu informieren und ich werde Euch gerne auf dem aktuellen Stand halten.

[Start] [Forum] [News] [Was ist Sailing Anarchy?] [Impressum]

SA-Original