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Schön und schnell –  Neu in Berlin!

ESSE_D_05Von meinem Besuch der Bootsausstellung in Düsseldorf im Januar 2005 sind mir nur wenige Segelboot in Erinnerung geblieben. Bei den großen Yachten ist es die DK 46 – weil die Yacht für die Messe angekündigt war, aber der Frachter mit dem Boot im Suezkanal hängen geblieben sein soll. Beneteau hatte eine First Class 7.5 auf dem Stand, die ich bereits vom Vorjahr kannte. Diesmal hatte man auch daran gedacht, dass Hydrauliköl des Schwenkkiels aus der Bilge zu entfernen. Das Segelboot, das mich am meisten beeindruckt hatte, war die ESSE 850. Der Eidgenosse Josef Schuchter stellte seine Interpretation einer modernen Sportyacht vor: Ein Design von Umberto Felci, der Kasko in Italien gebaut und in der Schweiz mit feinsten Zutaten ausgerüstet und fertig gestellt. Das Boot überzeugte durch seine klaren Rumpflinien in Verbindung mit einem puristisch klaren Deckslayout, “Eine Mini Wally” hörte man die Besucher am Stand öfters murmeln. In 2004 berichteten mir Segelfreunden, dass das Boot bei der Europameisterschaft der Sportboote in Brunnen am Vierwaldstätter See eine überzeugende Leistung geboten hatte: Die Plätze 1 und 2 nach ORC-Club Handicap wurden von ESSE 850 errungen.

Leider mußte ich selbst bis zum Sommer 2006 warten, um meine erste ESSE auf dem Wasser zu sehen. Während eines Schlepp zurück in den SC Gothia kam uns ein Boot unter einem beeindruckend großen weißen Gennaker entgegen. Wir rätselten noch etwas rum, aber dann erkannten wir am Segelzeichen, dass die erste ESSE 850 ihren Weg nach Berlin gefunden hatte. Wenige Tage später erfuhren wir, dass die Yacht im SV Stößensee lag und von ihren Eignern für die Teilnahme an der Stößensee-Pokal Regatta des SVSt vorbereitet wurde. In den folgenden Wochen konnte man die GOOD FRIENDS jetzt regelmäßig auf dem Wasser sehen und die Crew dabei beobachten, wie sie sich mit dem Boot vertraut machte und Manövertraining betrieb. In diesem Jahr wurde der Stößensee-Pokal gleichzeitig zur Austragung der Berlin Yardstick Master genutzt. Die 5 ausgeschriebenen Wettfahrten, davon eine Langstrecke, sollten eine anspruchsvolle Aufgabe für alle Teilnehmer sein. Für die Regatta am letzten Septemberwochenende hatten leider nur 25 Boote gemeldet. Wahrscheinlich sind einige Segler mit ihren Familien lieber in die Herbstferien gefahren, anstatt auf dem Wasser für Ehre und Silber anzutreten. Neben den üblichen Verdächtigen aus der Berliner Yardstick Szene (u.a. Sweet Sixteen, Bijou, Quienta, Yellow Danger, sailing.coover,Just Right, Avanti, Frau Friese, Nummero Uno,...) fand sich auch die ESSE 850 zu ihrem ersten Regattaauftritt an der Startlinie ein. Als Steuermann hatte man sich einen alten Hasen aus der H-Boot Flotte an die Pinne geholt und Ehrhard Schüler zeigte, dass er nichts verlehrt hat: Mit zweimal Platz 1 in den Rennen 1 und 2, einem 2ten im dritten Lauf und dem 3. Rang in der 4ten Wettfahrt ESSE_SS_Tonnekonnte man das schlechte Abscheiden (17.) auf der Langstrecke als Streicher leicht verschmerzen. Das Boot hing dabei der in Berlin weltberühmten Sweet Sixteen, einer Nissen 11.50, wie eine Klette am Bein und zeigte eine gute Bootsgeschwindigkeit auch im direkten Vergleich zu den beiden Yachten vom Typ Grand Surprise, die ebenfalls mit demselben YS-Faktor von 88 eingestuft sind. Am Ende der Wettfahrten stand für alle Teilnehmer überraschend die GOOD FRIENDS ganz oben auf der Ergebnisliste und sicherte sich vor der Beneteau 25 Farrbar den Sieg und den Titel bei den Berlin Yardstick Masters 2006. Vor der Preisverleihung im SVSt bot sich mir die Gelegenheit, das Boot zu besichtigen und das Angebot von Sven und Björn Herbing, demnächst einen Schlag auf dem Boot mit zu segeln, nahm ich natürlich gerne an.ESSE_Box1

Am nächsten Freitag war es soweit, doch leider hatte Achim, der das Probesegeln per YACHT-Forum angeschoben hatte, kurzfristig absagen müssen. So trafen Florian, Frank und ich uns mit Sven im SV Stößensee am Steg vor der Good Friends. Sofort fällt einem die geringe Breite der Yacht auf und ruft Erinnerungen an einen klassischen Nationalen- oder Schärenkreuzer herauf. Im Gegensatz zu diesen weist der Rumpf aber einen deutlichen U-Spant auf und zeigt hier seine Verwandtschaft mit den modernen IMS Konstruktionen. Als nächstes sieht man das klare, schnörkellose Deckslayout: Das Vordeck frei und sauber bis auf eine unter Deck montierte Fockrollanlage von Bartels, nur eine Winsch auf den Cockpitduchten für Fock und Gennaker sowie ein paar Curryklemmen, Teakbelag auf dem Cockpitboden, Carbonpinne mit Ausleger, ein kräftiger Traveller, aber mehr Leinen als üblich im Bereich des Steuermanns. Der Mast ist im Gegensatz zu vielen anderen Sportbooten in dieser Größe aus Alu und mit 2 Salingen und einem Achterstag ausgerüstet. Steigt man vom Steg auf das Boot, bemerkt man sofort den nächsten Unterschied: Im Gegensatz zu den meisten anderen Sportbooten ist die ESSE steif wie eine Morgenlatte! Egal, ob ich meine 85 kg auf Höhe der Püttingeisen plazierte oder im Cockpit stand – das Boot bleibt in ihre Wasserlage so gut wie unverändert. Ursache für die hohe Stabilität der Yacht ist die 700 kg schwere Bleiballastbombe, die an einem 2 Meter tief gehenden Hubkiel hängt und für ein gewaltiges aufrichtendes Moment sorgt. Das Großsegel war schnell angeschlagen, der Gennakersack lag unter Deck in der Schlupfkajüte, Fall, Halsleine und die endlos geschorenen, verjüngten Schoten angeknüppert und schon hangelten wir uns an den Dalben entlang in den Stößensee hinaus. ESSE_FockNachdem wir von der Steganlage frei waren, rollten wir die Fock aus und Frank stellte die GOOD FRIENDS in den Wind um das Großsegel zu setzen. Etwas abgefallen, die Großschot dicht geholt, die ESSE neigte sich nach Lee und nahm dabei sofort Fahrt auf. Nachdem wir die Enge bei der Ausfahrt des Stößensee passiert hatten, legte der Wind noch etwas zu und blies uns mit guten 4 Bft. aus Südwest auf die Nase. Das Boot packte sich unter der vollen Besegelung auf die Seite und fuhr mit ca. 25-30 Grad Schräglage schnell und hoch an der Kreuz. Die TackTick Logge zeigte dabei um die 6,8 - 7,4 kn an. In den Drückern mußte aktiv mit dem Traveller gearbeitet werden. Später, der Wind hatte noch etwas aufgefrischte und auf der Großen Breite waren bereits überall Schaumkrönchen auf den Wellen, wurde auch die Großschot gefiert, um den Segeldruck zu kontrollieren. Dabei zog die GOOD FRIENDS jetzt auch schon mal fast mit dem Leedeck durchs Wasser, aber ohne einen spürbaren Geschwindigkeitsverlust. In diesem Momenten erinnerte mich das Segelverhalten der ESSE sehr an meine Zeit auf der PINGUIN, einem ehemaligen 60er Nationalen Kreuzer aus dem Jahre 1926. Dieser A&R Bau fährt an der Kreuz über 4 Bft. genauso wie die ESSE, legt sich auf die Backe, macht sich lang und rennt dabei einfach los. Aber während die PINGUIN auf Rudermanöver nur mit einer deutlichen Verzögerung anspricht und langsam ihre Fahrtrichtung wechselt, reagiert die GOOD FRIENDS sofort auf die Pinne und wendet schnell und sauber durch den Wind. Neu für mich war die Erfahrung, dass es auf einem Sportboot nichts bringt, wenn man in den Böen versucht, Gewicht auf der Kante zu machen. Aber auf der ESSE ist das Crewgewicht auf der Kante als Beitrag zur Stabilität eher unbedeutend und ein Grund mit dafür, dass man diese Yacht auch mit kleiner Crew bei mehr Wind sicher bewegen kann.ESSE_Traveller Ein weiterer Vorteil, der einer kleine Crew entgegen kommt, ist die gut überlegte Anordnung der Fallen und Schoten an Deck des Bootes. So wird z.B. die Rollanlage über eine unter Deck geführte Endlosleine bedient, die vor dem Traveller in Reichweite des Steuermanns angebracht ist. Direkt dahinter sind auf beide Seiten des Cockpits die Trimmleinen für das Achterstag plaziert, gefolgt von den Leinen für die Kontrolle des Travellers. Auf dem Travellerschlitten wird die Großschot über eine schwenkbaren Ratschblock geführt. Kurz und gut, der Steuermann kann ziehen, zuppeln und sich um das Groß kümmern und für die Bedienung von der Fock reicht ein Mitsegler aus. Ich denke, dass es auch möglich sein sollte für eine 2er Crew das Boot bis 3 Bft. ohne Probleme zu segeln, darüber wird man sich auf dem Vordeck beim Setzen und vorallem Bergen des Gennakers über eine zweite Hand freuen.

Während wir die Unterhavel Richtung Süden runter kreuzten, erzählte uns Sven wie er und sein Bruder sich mit Ihrem Miteigner die ESSE bei Schluchter in der Schweiz angeschaut und sich nach einem Probesegel bei kaum Wind für das Boot entschieden haben. Für die Yacht inkl. North Sails Regattasegelsatz (Laminattuch, triradial geschnitten) und einem passenden Trailer haben sie etwa 56.000 EUR netto bezahlen müssen. Nun, das ist nicht wenig, aber dafür erhält man ein sehr gut verarbeitetes und ausgestattetes Boot, das in Norditalien gebaut und in dem Hochlohnland Schweiz mit besten Beschlägen ausgerüstet wird. Verzichtet man auf den Teakbelag im Cockpit, wird das Boot ca. 4.200 EUR günstiger. Okay, es ist immer noch eine Menge mehr Geld, als ich auf meinem Konto habe, aber wenn man z.B. eine neue Melges 24 zum Vergleich nimmt, kann man die ESSE nicht wirklich als ein teures Boot bezeichnen.ESSE_FlorianAber genug vom Geld und zurück zum Segelspaß, der in dem Kaufpreis reichlich enthalten ist. In der Zwischenzeit hatte Florian die Pinne übernommen und war ebenfalls von den Segeleigenschaften des Bootes sehr angetan. Auf dem Schlag unterhalb der Wasserskistrecke zeigte sich mal wieder, dass die Berliner Gewässer mit 2 Meter Tiefgang recht schnell klein werden können. 8, 6, 5 Meter und weiter fallend zeigte das Lot an und Florian hatte bereits die Wende in Richtung Schwanwerder eingeleitet, als es bei guten 6,5 –7,0 kn unter uns heftig rumpelte. Beim Probeschlag mit einem neuen Boot aufgelaufen, einfach nur Mist – Mein Gott, war uns die Situation peinlich. Sven ließ sich tapfer nichts anmerken und mit backstehender Fock und zwei Mann an der Leewante hängend, holten wir das Schiff langsam wieder vom Schiet runter. Der Hubkiel der ESSE blieb dabei fest und ohne Bewegung in seinem Kielkasten, kein Hochschieben oder Arbeiten im Kielkasten, wie ich es bei anderen Sportbooten bereits erlebt habe. Nachdem wir wieder frei waren, segelten wir in die Abdeckung der Insel Schwanwerder und bereiteten das Setzen des Gennakers vor. Das Segel wird im Masttop gefahren und hat eine Größe von ca. 80 m² - also eine Menge Tuch, das wir hinter den Wanten hoch in den Top zogen. Frank luvte an, der Gennaker füllte sich und ich bekam schönen Druck auf die Schot. Das Boot setzte den Wind sofort in Fahrt um und beschleunigte auf 9,0-9,5 kn. Das Wasser am Heck riß sauber und glatt ab, in Böen beschleunigte die Yacht auf 10 und später in der Spitze auf 11,0 kn. Die erste Halse habe ich total versaubeutelt – Resultat war ein erfolgloser Versuch der Schleppnetzfischerei, der aber nur einen verdrehten, nassen Gennaker einbrachte. Nachdem die Wuhling klariert war, klappte der zweite Versuch deutlich besser und wir liefen unter dem Gennaker nach Norden zurück. Dabei fiel uns auf, wie tief wir mit dem Gennaker vor dem Wind fahren konnten. Das Segel hat ein relativ langes Vorliek, welches es erlaubt, dass sich die Schulter des Gennakers weit nach Luv ziehen kann und so viel Fläche in den Wind bringt. Mit dem Fieren der Halsleine kann man diese Drehung noch weiter unterstützen und so fast die Tiefe eines konventionellen Spi fahren.ESSE_Box1

Zurück in ihrer Box war die GOOD FRIENDS schnell fertig gemacht. Großsegel aufgetucht, auf den Baum gebunden und Segelkleid drüber, Gennaker zurück in seinen Sack, die Fock blieb angeschlagen auf der Rollanlage und wurde mit einer Persenning abgedeckt. Ein schneller Blick in die Kajüte unter Deck zeigte eine nackte, aber sauber verarbeitetet GFK-Höhle. Wie es sich für ein Sportboot gehört, bietet die ESSE keine Stehhöhe unter Deck, aber Liegefläche für 4 Leute unter Deck wäre vorhanden. Ansonsten ist nicht viel zu sehen: Die GOOD FRIENDS ist nicht mit der optional erhältlichen Dieselsaildrive ausgerüstet. Nach 15-20 Minuten war das Boot klar und wir saßen beim Bier in SVSt. Was kann man noch über die ESSE sagen, was ich nicht schon geschrieben habe? “Schön und schnell”, auf diesen kurzen Nenner kann man das zusammenfassen, was wir bei dem Probesegeln mit diesem neuen Sportboot erlebt und gedacht haben.

Das Konzept der Werft, ein modernes Sportboot zu entwickeln, welches die positiven Eigenschaften einer Kielyacht mit dem Geschwindigkeitspotiential eines gleitfähigen Sportbootes verbindet, ist aufgegangen. Durch den hohen Ballastanteil (ca. 60 %) und dem großen Tiefgang ist es möglich, das Boot auch bei mehr Wind mit einer kleinen Crew von 2-3 Mann/Frau sicher zu beherrschen. Die Yacht hat das Potential zur Einheitsklasse, mittlerweile sind 50 Boote gebaut worden und sie hätte es verdient, wenn sich mal aktive Regattasegler aus Einheitsklassen wie dem Drachen oder dem H-Boot die Zeit für einen Probeschlag nehmen würden. Aber seid gewarnt: Die ESSE 850 ist einfacher zu segeln und dabei viel schneller als Eure Klassiker – Also nicht erschrecken, sondern mal wieder wie früher auf der Jolle einfach die rauschende Gleitfahrt genießen!

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