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Ein Törn auf der Alexander von Humboldt

Alex-HafenMein Bruder  und ich waren am Morgen des 10.01.2007 in Berlin Richtung Kanaren gestartet und hatten unser Ziel, Santa Cruz de Teneriffa am Abend gegen 19.00 Uhr endlich erreicht. Während wir am Flughafen auf den Bus warten, lernen wir die ersten fünf Mitsegler und eine Mitseglerin kennen. Bis auf die Frau sind alle anderen deutlich älter als wir und laut eigener Auskunft keine regelmäßigen Segler. Vom Busbahnhof müssen wir noch gut 20 Minuten zu Fuß gehen und schon während des Weges können wir die Masten der Alexander von Humboldt zwischen den anderen Schiffen entdecken. Der Abend ist sonnig und mild und es stellt sich “das” Urlaubsgefühl ein und die Vorfreude steigt. Dann endlich am Schiff, die Hafenwache bittet uns an Bord, wir werden erfasst und unter Deck geschickt um noch schnell etwas zu Essen zu bekommen und unsere Kammer zu beziehen.

 Beim Anblick des bunt gemischten Haufens in der Messe sind wir dann doch etwas überrascht. Da ist  alles vertreten vom 22-jährigen Backfisch bis zur 70 jährigen Oma und den ältesten Mann mit 69 Lenzen hatten wir ja schon im Bus kennen gelernt. Nicht dass ich eine Anhäufung gestählter schöner junger Menschen erwartet hätte, die Becksbier  trinkend ein Schiff von A nach B segeln und ab und an ins Wasser springen. Aber die ungefähre Abbildung der Altersstruktur meines heimischen Segelvereins hatte ich auch nicht erwartet. Recht schnell wird uns auch klar, dass die wenigsten der an Bord befindlichen “Trainees” regelmäßige Segler sind, obschon einige von Ihnen bereits mehrfach auf der Alex gesegelt waren. Aber es gibt ein freundliches Willkommen und etwas zu Essen. Mit dem Essen gleich die nächste ernüchternde Erkenntnis, keine Becks an Bord! Evtl weil Becks kein Sponsor mehr ist. Während wir noch schnell einen Schlag Wurst mit Ketchup und ein paar Brote verdrücken, überrascht  mich der rüde Ton der zu Bedienenden gegenüber den Bedienenden, gemeinhin Backschafter genannt und offensichtlich arme Schweine (“Backschaft!!!! Brot”, Backschaft!!!!! Tee pronto”, “Backschaft Kaffee aber zack”). Das kleine Wörtchen “Bitte” schien nicht an der Hafenwache vorbei gekommen zu sein. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass jeder der Crew einen Tag in der folgenden Woche Backschafter sein würde und zwar mit allen Pflichten (6.30 wecken, 7.00 Uhr Dienstbeginn, eindecken fürs Frühstück, bedienen während des Frühstücks, abräumen und abwaschen, Messe putzen, selbst kurz frühstücken, Reinschiff, alle Klos putzen, Eindecken für das Mittagessen, Mittagessen bedienen, abräumen und abwaschen, Messe putzen, selbst kurz essen,  dann kurze Pause gefolgt von …………)8/12er Wache
Während des Essens eine erste kurze Begrüßung durch unseren Wachführer, Eike, der auf dieser Tour mangels  Toppsmatrosen zum ersten Mal Wachführer sein würde (Das vorweg, er machte es sehr gut). “ Ihr seid in der 8/12 er Wache” (Aha), Ihr habt immer morgens von 08.00 bis 12.00 Uhr und abends von 20.00 bis 24.00 Uhr Wache  und “Eure Kojen sind im Puma-Käfig”. “ Was ist der Puma-Käfig und warum heißt er so” möchten wir wissen. “Der Pumakäfig ist gleich hier die Treppe runter rechts und wenn  das Schiff auf See ist, müssen wir leider die Luken auf Deck schließen, dann kann es etwas stickig werden und müffeln, aber es gibt ja die Lüftung”. ”Ach ja, Ihr seid zu acht und fünf  von euch sind in der 0/4 er und 4/8 er Wache, seid also bitte immer hübsch leise”. “Morgen gibt es eine Einweisung und um 14.00 Uhr laufen wir aus”. “Wieso so spät, warum noch den halben Tag hier rumlungern?” “Weil wir erst Freitag abend auf La Palma anlanden wollen”. Wie bitte, wir laufen Donnerstagmittag aus und sind schon Freitagabend wieder an Land”? Ja. Dort machen wir eine schöne Tagestour über die Insel und legen Samstagabend wieder ab”. Na super, 7 Tage insgesamt, davon 2 Tage für die Hin- und Rückreise, bleiben 5 Tage fürs segeln, wieso ein Bustour an Land? Na gut, schnell noch die Koje bezogen…..
Nächste Überraschung; Käfig ist geprahlt, jeder Puma hat allein mehr Platz als wir zu siebt (Gott sei Dank wurde einer noch schnell in die Nachbarkammer verlegt). Das Betten beziehen geht nur nacheinander und die Koje ist gerade breit und lang genug für mich, mir wird klar, hier wirst Du nicht viel Schlaf finden, und so ist es dann auch, durch den Wachwechsel, die Schnarcherei, die laute Lüftung, die Schiffsbewegungen, die schlechte Luft und den wenigen Platz liege ich die Nächte mehr im Halbschlaf als im Tiefschlaf, fühle mich aber komischerweise trotzdem erholt. Auch holen nicht wenige den versäumten Schlaf tagsüber während der Freiwache an Deck nach. Ein an Deck liegendes Stagsegel gemeinhin (Kuschelstag) genannt bietet gemütliche kleine Ausbuchtungen, die fast ständig von Schlafenden belegt sind. Um 20.30 Uhr ist alles fertig, Spind eingeräumt und wir brechen auf um ein paar Flaschen Wein zu finden und ein kühles Bier zu trinken.

Am nächsten Morgen nach einer viel zu kurzen Nacht  wird um 7.00 Uhr geweckt. Da die Wachen noch nicht im Dienst sind, rennen 50 Mann auf der Suche nach Waschräumen und Toiletten über das Schiff. Unsere kombinierte Wasch-, Dusch- und Toilettenkabine für 15 Mann ist durchgängig besetzt, aber es gibt über dass Schiff verteilt Ausweichorte.  Nach dem Frühstück (ich esse wenig und verzichte auf Kaffee, weil ich die Seekrankheit fürchte) begeben sich die Wachen auf Ihre Stationen und werden eingewiesen (die 8/12 bekommt den vorderen Mast und das Vorschiff zugewiesen). Jeder erhält einen Lifebelt, bekommt die Seenotrettungsmittel einschließlich Insel erklärt (jede Wache hat 2 Inseln a`24 Mann Fassungsvermögen jeweils an Backbord und Steuerbord zur Verfügung) und muss mit angelegter Rettungsweste durch einen Notausstieg an Deck klettern. Die Stammbesatzung wird zusätzlich in die Feuerlöscheinrichtungen des Schiffes eingewiesen und wird in Brandbekämpfungstrupps eingeteilt. Während der Nachtzeiten wird stündlich ein Rundgang unter Deck gemacht um eventuelle Brandquellen frühzeitig zu entdecken. Rauchen ist an Bord bis auf den Hamsterkäfig verboten. Dann noch die dringliche Bitte die Epirb-Boje am Heck nicht aus Versehen in Betrieb zu setzen, das sei schon mal passiert und war peinlich.
Nun kommt die Riggeinweisung und ein Jeder kann, wenn er will, in die Wanten und zu den Salingen aufsteigen und in die Rahen klettern. Björn und ich fühlen uns auf der ersten Saling so wohl, das wir auf weitere Eskapaden gern verzichten, denn wer hoch steigt kann bekanntlich umso tiefer fallen. Dann endlich frischt auch der Wind auf und nimmt mit jeder Stunde zu. Jetzt wollen wir aber wirklich los. Noch schnell das Mittagessen. Wieder an Deck, noch 15 Minuten bis zum Ablegen, hat sich der Wind mittlerweile auf 7 Bft gesteigert  und die ersten Wellen kommen über die Wellenbrecher. Wir erfahren, das wir mindestens 3 Stunden unter Motor “gegen an” müssen, ich denke “fängt ja gut an. 14.00+3h =17.00 Uhr, der Tag fast rum und nicht gesegelt”. Gleichzeitig beschleicht mich die Sorge vor der Seekrankheit und ich frage unsern gute Laune versprühenden Doc, Kai, Mitglied meiner Wache, ob er nicht was gegen Seekrankheit hätte. “Ja” sagt er “hier nimm etwas frischen Ingwer und kaue darauf herum, das hilft”. “Das glaubst aber nur Du” sage ich und bekomme wie zur Bestätigung ein Kaugummi gegen Reisekrankheit.  “Placebo” denke ich und nehme es an. Die harten Sachen aus dem Medikamentenschrank behält er für sich und die Stammcrew. Er sollte sie brauchen.

 Der Gummi schmeckt so abscheulich, dass mir schon schlecht wird, bevor wir überhaupt ausgelaufen sind. “ Mann Sven, Du wirst nicht seekrank” meint mein Bruder zuversichtlich dazu und ich beschließe ihm zu glauben. Dann wird es ernst, Leinen los und raus aus dem Hafen. Alle Mann/Fau sind an Deck und halten sich Mittschiff an den gespannten Sorgeleinen fest. Wir haben den Hafen kaum verlassen, da stampft die Alex schon in 4-6 Meter hohe Kreuzseen und die Wellen schlagen über das Vorschiff im Versaufloch ein, das es eine Freude ist. Jede Welle wird mit lautem “Hallo” begrüßt. Fasziniert von diesen Gewalten bemerken wir erst nach einer halben Stunde, dass von der beim Auslaufen komplett angetretenen Mannschaft kaum noch Leute an Deck sind und unsere kleine Party auf 4 Mann/Frau geschrumpft ist. Auch von der stehenden Wache sind außer dem Ausguck der bei uns ist, nur vereinzelt ein paar Leute zu sehen. Wir fragen jemand was los ist.
Zwei Drittel der Besatzung nebst unserem Toppsmatrosen, Schiffsarzt und Bootsmann sind seekrank, der Erste nach 15 Minuten. Nicht wenige hängen über der Reling und lassen sich das Mittagessen noch einmal durch den Kopf gehen, was zu größeren Reinigungsarbeiten am nächsten Tag führt. Unter Deck riecht es nicht wirklich schön, weswegen ich beschließe so lange wie möglich an Deck zu bleiben. Ich bin echt glücklich, dass ich warum auch immer, verschont wurde.

Alex-8-12-ArbeitNach drei Stunden hat der Kapitän ein Einsehen und lässt die verbliebenen 12 Mann/Frau Klüver-  und Stagsegel setzen, damit der Kahn ein wenig ruhiger liegt und unsere Kranken ins Leben zurückkehren können. Endlich Segel setzen! Endlich die ersehnte Action. Zu unserem größten Entzücken gehen wir schon wenig später auf Vorwindkurs und erhalten den Befehl zum setzen von Vor-Unter- und Obermarssegel sowie Großunter- und Großobermarssegel. Nun können Björn und ich die auf den Binnengewässern Berlins erlernten Fähigkeiten einsetzen und an einigen der zu Hunderten vorhandenen Fallen und Schoten herumzerren, dass es eine Lust ist. Weil wir faul waren und nicht vorher alle Schotführungen auswendig gelernt haben, rennen wir immer jemand hinterher, der weiß wo welches Fall/Tau, bzw. welche Schot/Gordinge belegt ist und es uns in die Hand drückt. Das führt speziell in der Nacht zu lustigen Gruppenspielen, weil die Meisten immer irgendjemand Anderem hinterher rennen, weil Er/Sie glaubt, das Der Bescheid weiß und dann mal, die eine oder andere Station völlig überbelegt ist, während auf der anderen Seite ein verlorenes Häufchen steht. Da Nachts kein Licht an Deck angemacht werden darf, müssen zudem die gewünschten Taue, Fallen und Schoten ertastet und an Ihrer Anordnung erkannt werden. Während der folgenden Nächte spielt sich die Sache ein und wir rennen nur noch unseren Matrosen hinterher oder werden gleich eingeteilt. Unser Toppsmatrose erträgt es Gott sei Dank mit Gelassenheit.
Am Ende der Reise kennen wir dann schon grob die einzelnen Stationen und wissen in etwa wo was belegt ist. Aber was will man auch von jemand erwarten, der sonst nur 3 Segel kennen und beherrschen muss. Ich werde mit Elmar, einem alten Hasen auf der Alex  ins Versaufloch geschickt, um “Lose in die Gordinge” zu geben. Kaum dass ich angefangen habe steigt eine hübsche  kleine Welle ein und ich bin dankbar, entgegen dem Rat eines Bekannten (“super Wetter, kurze Hosen, T-Shirt, vielleicht eine Regenjacke, mehr brauchst Du nicht”…”) nun doch meine Musto-Jacke mitgenommen zu haben. Nur oben am Kragen suppt es schön kalt hinein und die Füße werden nass, denn meine wunderbaren Segelschuhe haben Belüftungslöcher in den Sohlen. Wozu weiß ich allerdings nicht, meine Füße haben die Luft im Puma-Käfig sicher nicht verbessert.

Zum Abendessen ist die Messe gespenstig leer, wo mittags noch das Leben tobte und die Fettlebe regierte wird nur für 20 von 53 Mann eingedeckt und mehr kommen auch nicht zum Essen. “Super“ denke ich mir, “dann haben wir also Dauerwache” und freue mich.
Das Essen unter Deck bei diesen starken Schiffsbewegungen ist auch eine gewöhnungsbedürftige Sache und wirft bei mir die Frage auf, wie sich das wohl auf einem 12 Meter Boot anfühlen wird. Jedenfalls wird mir unter Deck auch ein wenig flau und ich sehe zu, schnell wieder an Deck zu kommen.

Die Maßnahmen des Kapitäns helfen tatsächlich, so dass wir beim Wachwechsel unsere 8/12 bis auf zwei Mann/Frau und unserem Toppsmatrosen vollständig an Deck haben.  Mit Hilfe der verbliebenen Reste der 4/8 und Andi, dem Wachführer der 4/8, sollen wir nun die Segel brassen. Also rennen alle Mann/Frau los und nachdem jeder endlich ein Tau in den Händen hält, kommt das Kommando zum Brassen. Nun wird es richtig anstrengend und kaum das wir begonnen haben kotzt uns einer der gerade Genesenen genau vor die Füsse (lecker!). “So eine Schweinerei habe ich ja noch nie erlebt ist” ist der Kommentar vom Toppsi. Alex-Abend

Es klappt auch nicht alles auf Anhieb, denn während wir ziehen wie die Blöden, halten Sie auf der anderen Seite noch fest, statt lose zu geben. Nachdem der Toppsi seinem Unmut Luft gemacht hat, klappt es auch mit dem Brassen. Wir sind halt zum größten Teil Amateure auf Abenteuerurlaub. Nun schnell Kotze wegspülen und klar Schiff und dann kehrt erstmal Ruhe ein. Ich darf für eine Stunde Ausguck gehen während die Alex mit Sturmbesegelung bei 8 Bft mit 10 Knoten Fahrt in Richtung La Palma durch die Nacht “rast”. Das Brausen in den Rahen, über uns klarer Sternenhimmel,  wunderschön und unbezahlbar. Sicher einer der schönsten Momente in meinem bisherigen Seglerleben und Entschädigung für das viele Warten aufs Segeln. Ein Kuriosum; der Ausguck hat alles zu melden was vor dem Schiff bis Bb und Stb querab auf dem Wasser erscheint. Also renne ich bei jedem Lichtlein am Horizont dienstbeflissen von ganz vorn nach ganz hinten und mache Meldung “ Dies und das 2 Strich Bb voraus” ja sagt der Steuermann “danke haben wir schon seit 20 Minuten auf dem Radar, das AIS sagt es ist ein deutscher Frachter”. Ich fühle mich irgendwie verarscht… gib den Leuten eine Beschäftigung….. Nach meiner Ablösung noch schnell der Rundgang unter Deck, nach Feuer gucken und schnüffeln, es riecht aber nur nach Essig und Erbrochenem. Bloß schnell wieder hoch!
Um 24.00 Uhr dann Wachwechsel und auch die 0/4 er Wache ist fast vollständig anwesend, weil sich das Schiff auf Vorwindkurs schön ruhig verhält und nur ab und zu von einer größeren Welle unterlaufen wird. Nun werden wir auch in die Feinheiten des Wachwechsels eingeführt! Die aufziehende Wache findet sich mittschiffs auf der Bb - Seite der Sorgeleine ein, die abziehende Wache an Stb. Die Anwesenheit wird kontrolliert und Meldung gemacht. Nun schreien wir uns noch nett an (abziehend “guute Waacht” und aufziehend “wir dazu guuute Ruuuh), wer am lautesten schreit hat gewonnen. Die 8/12er gewinnt immer! Weswegen wir uns gleich am nächsten Tag “legendär” und “ruhmreich” titulieren, um die anderen Wachen ein wenig zu “kitzeln”.
Am Ende sind wir wirklich ein eingeschworener Haufen, lassen die anderen ständig wissen wer an Bord ruhmreich und legendär wacht und sind für die anderen nur noch schwer zu ertragen. Aber inzwischen brüllen sie auch recht laut.
Wir 8/12er trinken noch ein Bier auf diesen ersten schönen Tag und fallen müde in die Kojen. Am nächsten morgen 7.00 Uhr ist  wecken. Ich springe aus der Koje und ziehe mich an der Tür an, weil hier am meisten Platz ist. Peter, der personifizierte “Hein Blöd” aus der anderen Kajüte gegenüber wird meiner ansichtig, schmallippig betrachtet er mich und es arbeitet in seinem Gesicht. Man kann seine Gedanken förmlich greifen: “es gibt nur diese eine Toilette”. Kurzentschlossen unterbricht er seine Morgengarderobe und stürzt ins Bad. Das gleiche Spiel haben wir nun jeden Morgen in den unterschiedlichsten Stadien seiner Garderobe, denn er hat auch mit mir zusammen Backschaft. Einmal erwische ich ihn noch in Feinripp und lache mich schlapp als er mich erbost anblickend ins Bad stürzt. Alex-Morgen
Dann Frühstück und um 8.00 Uhr Wachbeginn. Ein herrlicher Sonnenaufgang belohnt für das frühe Aufstehen und man genießt den herrlichen Ausblick auf nichts als Wasser und am Horizont La Palma.
Der Wind ist abgeflaut auf 4. Bft und wir haben erstmal nicht viel zu tun, die 4/8 er  Wache  hat noch 2 Segel mehr gesetzt. Wir tun es ihnen gleich und setzen auch noch ein paar Segel, aber der Wind flaut immer mehr ab und schläft dann fast ganz ein. Der Kapitän befiehlt die Wegnahme aller Segel kurz vor Wachende (danke) und wir brauchen eine halbe Stunde um die Segel zu bergen. Meine Hände sind feuerrot und brennen, denn die Taue auf der Alex sind allesamt rau und grobfaserig, da ist nicht ein Tau aus Synthetik. Dann Motoren wir bis 15.00 Uhr nach Santa Cruz de La Palma. Wir verbringen einen netten Abend in der Altstadt und freuen uns dann auf den nächsten Tag.
Die Insel ist ganz nett und ich bin mit dem Aufenthalt an Land mittlerweile auch versöhnt, denn es ist mein Backschafter-Tag. Glück im Unglück! Der Tag wäre seglerisch so oder so verloren gewesen. Um 6.30 werde ich geweckt, Einweisung, Tisch decken, Kaffe und Tee kochen und die Köstlichkeiten dieser Welt aus den Tiefen des  Kühlschrankes graben. Nun noch schnell ein Lächeln aufgesetzt und schon können die ersten Frühstücksgäste kommen. Unter dem Eindruck der vergangenen Tage haben wir uns vorgenommen “Maßstäbe” in Sachen Freundlichkeit zu setzen. Wir sind so unerträglich freundlich, dienstbeflissen und penetrant, dass es fast niemand gelingt uns zu scheuchen. Nun noch schnell selbst was gegessen und ein wenig Ordnung in der Messe geschafft und meine Backschaft wird leider von der Tagesbustour unterbrochen. Die Insel ist sehr schön, aber das herausragende Ereignis ist das Mittagessen, all you can eat für 15 € pro Person. Verschiedene Sorten Fisch und Fleisch, Suppe, Nachtisch, Wasser und Wein. Ich nehme mir vor, nicht so viel zu Essen und keinen Wein zu trinken, denn abends geht es wieder hinaus aufs Meer. Nach den ersten zwei Gläsern Wein denke ich mir “was soll es, Du lebst im hier und jetzt, was kümmert Dich das nachher” und lange kräftig zu, ist ja auch verdammt lecker.
Um 18.00 Uhr sind wir wieder an Bord. Sofort spulen wir das Abendprogramm ab und einige haben auch schon wieder Hunger. Wir machen Klarschiff und nach dem Ablegen müssen wir leider auch noch Reinschiff machen, sprich Klos putzen und Mülleimer leeren. Ich darf Mülleimer leeren und tobe los, weil ich unbedingt zu meiner Wache stoßen will. Während ich so durch das Schiff klettere um alle Mülleimer zu finden, fängt dass Schiff wieder an zu schlingern und zu stampfen (wir Motoren), die Luft ist stickig und im Vorschiff wird mir so langsam flau und ich stelle fest das “hier und jetzt” durchaus unterschiedliche Qualitäten haben kann. All die verzehrten Köstlichkeiten der mittäglichen Orgie begehren immer heftiger die Rückkehr an das Tageslicht und ich schaffe mit Mühe und Not meinen Job.
Alex-Smut FrankMein Oberbackschafter, Olaf entlässt mich dankenswerterweise früher in den Wachdienst, auch deshalb, weil ich ihn ich freiwillig antrete, denn Backschafter sind von 0.00 bis 24.00 Uhr wachfrei. Zurück an der Luft erbettele ich mir beim Doc einen von diesen Reisekrankheit-Kaugummis, der aber scheinbar wirklich nur gegen Reisekrankheit  und nicht den Folgen von Zügellosigkeit hilft. Seinen Ingwer bietet er Gott sei Dank nicht an, wer weiß was dann passiert wäre. Wieder unterstützt mich Björn mit den Worten “atmen, einfach tief atmen” und ich atme bis Fisch und Co. nach  2 Stunden endlich aufgeben. Inzwischen haben wir ordentlich Tuch aufgezogen und die Alex rauscht wieder mit ordentlich Speed durch den Atlantik. Ich darf wieder Ausguck gehen und genieße nunmehr vollständig von den Folgen meiner mittäglichen Orgie befreit die Nacht und die wunderbare Stimmung. Zum Wachwechsel fehlt Eve der Steuermann der 0/4 Wache und trifft erst mit 15 Minuten Verspätung und nachdem er erneut geweckt wurde, an Deck ein. Große Pein, beißender Spott, der so unsanft den Armen seiner Freundin Entrissene merkt sofort, hier hilft nur Bier und so kommen wir zum Wachende in den Genuss von Freibier. Wir schreien noch schnell seine Wache und ihn wach und gehen unter Deck. Auf einmal wollen alle ein Bier ausgeben und so wird es spät. Am nächsten Morgen kommen wir nach dem Frühstück an Deck und sehen das wir fast mit Vollzeug fahren, es fehlt nur die Royal und die oberen Besansegel. Ein sehr schöner Anblick und da es nicht viel zu tun gibt klettere ich mit unserem Hilfsmatrosen und Doc Kai und Elmar II auf den Vormast. Erste Saling, “na, wollen wir mal in die Rahen klettern?”, “Ja sage ich, wenn wir schon mal hier sind”.
Gesagt, getan, wir klettern unter Anleitung von Kai in die Rahen der Fock und gewöhnen uns die ungewöhnliche Haltung, halb liegend, halb in den Fußreitern stehend und mit den Beinen schwingend, fühle ich mich nicht wirklich wohl. Dann schlägt Kai vor den Großmast mit Ziel zweite Saling zu besuchen und ich stimme zu.
Kaum stehen wir oben auf der zweiten Saling, die schon ganz schön hoch ist, kommt die Frage, ”wollen wir ins Royal”, die Anderen schweigen und ich kann wieder mein Maul nicht halten. Mit flauem Gefühl entere ich weiter auf, die Wanten werden immer schmaler und enden auf Höhe des Royal in Handbreite. Nun kommt ein großer Spagat-Schritt von der Wante auf den Fußreiter und dann erst kann man sich einpicken. Mit “Hose voll” klettere ich in 35 Meter Höhe in die Rahe picke mich ein und denke schon im selben Augenblick “Scheisse, hoffentlich kommst Du da wieder rüber” und hoffentlich hält dein Lifebelt im Ernstfall deine 100 KG. “ Ist das nicht ein Traum” fragt mich Kai und ich antworte mit zusammengepressten Lippen “ja” und denke “aber kein schöner”. Langsam gewöhne ich mich an die Höhe und kann mich auch von dem Gedanken losreißen, wie es wohl aussähe wenn mein fetter Leib dort unten aufschlüge. Genießen kann ich die Höhe und den Ausblick aber nicht wirklich, weil man da oben wie ein Affe auf dem Schleifstein hängt und immer wieder runter gucken muss. Mittlerweile ist hinter mir jemand aufgeentert, der in epischer Länge fotografiert und mir den Rückzug versperrt, so dass ich mich in mein Schicksal füge. Und Kai der den Aufenthalt in luftiger Höhe wirklich zu genießen scheint, verstärkt meine Zuversicht unbeschadet wieder unten anzukommen.
Der Rückzug geht dann schnell und reibungslos von statten und ich bin zwar auch ein wenig Stolz mich überwunden zu haben, aber auch dankbar wieder unten zu sein. Umso größer meine Hochachtung vor den Seeleuten der Vergangenheit die da bei jedem Wetter und ohne Lifebelt hochmussten.
Kaum wieder an Deck, läuft unserem rheinländischen Rudergänger Peter dass Schiff aus dem Ruder, der einzige Fleck auf der ansonsten weißen Weste unserer ruhmreichen 8/12 er Wache. Normalerweise gibt es nun das Kommando “alle man an Deck” und dann eine “Allemannmanöver” mit allen Wachen und Brassen bis der Arzt kommt. Aber unser Kapitän Christian beraubt uns dieses seglerischen Leckerbissens und schmeißt die Maschine an um den Kahn wieder auf Kurs zu bringen.Alex-See
Wir befinden uns nun zwischen Teneriffa und Gomera und geraten in die Abdeckung von Teneriffa. Eine Stunde später, es ist kurz vor Wachende, der Wind ist weg, nehmen wir die Segel runter und schmeißen den Motor an. Nun gibt es nicht mehr viel zu tun und wir legen uns in die Sonne und machen auf Kreuzfahrt. So geht das den ganzen Tag, bis wir in den frühen Abendstunden wieder aus der Abdeckung herauskommen und der Wind wieder auffrischt. Leider kommt er direkt aus der Richtung in die wir wollen und so Motoren wir weiter. Nun werden wir langsam unruhig, schließlich sind wir zum Segeln hier. Als der Kapitän an uns vorbei geht, fassen wir uns ein Herz und sprechen ihn aufs Segeln an. Mit Erfolg, wie sich herausstellt, denn 30 Minuten später setzen wir Segel. Zum Wachwechsel darf ich erst mal wieder Ausguck gehen und mein Vorgänger von der 4/8 er meldet mir keine besonderen Vorkommnisse. Nach 30 Minuten sehe ich einen kleinen Kahn auf dem Wasser, diesmal mit Fernglas und renne nach hinten. Steuermann fragt wo, ich sage da vorn, 2 Strich an Stb. Er guckt durchs Fernglas und sagt stimmt, hast Du aber Glück, Dein Vorgänger hat mir vor einer Stunde Gomera gemeldet, dem hab ich was erzählt. Lustig!
Nun darf auch ich Ruder gehen und bekomme als Novize eine erfahrene Rudergängerin zur Seite, die mir die erste halbe Stunde auf die Finger schaut. Nach 10 Minuten habe ich die Sache raus und merke wie das Schiff auf das Ruder reagiert, nämlich erst mal gar nicht. Jede Ruderbewegung wirkt sich auf das Schiff nur sehr verzögert aus und man muss schon wieder Gegenruder geben, wenn dass Schiff gerade auf den vorherigen Ruderimpuls reagiert hat ohne jedoch schon die Richtung gewechselt zu haben. Es macht aber großen Spaß und ich genieße die Fahrt durch die Nacht. Nun darf ich auch zum ersten mal das Wetter “machen” sprich Wasser- und Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck messen und dies zusammen mit Datum, Zeit, Windstärke und Windrichtung und Höhe des Wellenganges ins Wetterbuch eintragen. Um uns zu erfreuen hält der Kapitän dann noch eine Überraschung für uns bereit, eine Halse unter Segeln, die normalerweise mit mindestens zwei Wachen gefahren wird. Wir dürfen und müssen es allein schaffen, was insgesamt zu bewältigen ist, aber auch anstrengend. Nach einer halben Stunde Ziehen und Zerren haben wir die Alex wieder auf Gegenkurs aber das AIS zeigt uns, das wir fast die gesamte Höhe die wir zuvor in zwei Stunden gewonnen haben nun wieder verloren wurde. Unser Wendekreis betrug mindestens 300-400 Meter. Damit waren wir sehr gut, denn die anderen Wachen nach uns, denen das gleiche Vergnügen zu Teil wurde, haben rund den doppelten Radius benötigt. Nach einer kleinen Wachbesprechung mit einigen Bieren geht es in die Koje.

Alex-MesseAm nächsten Morgen stellen wir fest, dass wir die ganze Nacht Zickzack zwischen Teneriffa und Gomera gesegelt sind und keinen Meter Höhe gut machen konnten. Also werden wieder alle Segel weggenommen und die Maschine angeschmissen. Nun gibt es bei strahlendem Sonnenschein wieder Kreuzfahrt unter Motor.  Wir erreichen um die Mittagszeit auch schon Port Mogan, wo wir uns auf Reede legen. Hier ist ein Landgang eingeplant und wir booten ein Beiboot aus, das die Interessierten an Land bringen soll. Björn und ich bleiben an Bord, denn was man durch das Fernglas erblicken kann, ist nicht wirklich schön. Auch wird der Eine oder die Andere beim Ausbooten ein wenig nass, weil wir recht hohen Wellengang haben. Um 16.00 Uhr sind schon wieder alle an Bord und nun beginnt die Vorbereitung auf das Captains – Dinner. Zur Feier des Tages kramen wir unsere besten Klamotten raus (Jeans und sauberes Hemd) und begeben uns auf Vorschiff. Kurze Ansprache des Kapitäns und dann gehen wir in die festlich eingedeckte Messe und bekommen ein Dreigänge-Menü aufgetischt und zwar von unseren Toppsmatrosen, die sich alle Mühe geben ihrer jeweiligen Wache die besten Stücke zuzuschanzen. Ursula, unsere Wachälteste und mit weit über 60 auch die Älteste an Bord macht uns Männern unter großem Gejohle ein nettes Kompliment; “Männer sind doch was wunderbares, aber die Krönung der Schöpfung ist der Mann in den Wanten!!!” Dafür bekommt Sie natürlich Beifall von allen Männern an Bord. “Schade das meine Freundin das nicht hören kann” denke ich mir.   Der vorhandene Wein ist lecker und daher schnell leer. Gut dass wir für unsere Wache noch ein paar Flaschen eingekauft hatten und Eike uns zuvor gut versorgt hat. Nun holt Olaf seine Gitarre hervor und es wir singen wein- und bierselig einen bunten Mix aus Schlagern und Seemannsliedern. Nach dem Essen geht es an Deck und eine provisorische Disco wird eingerichtet. Ich melde mich freiwillig zur Ankerwache und betrachte das Treiben von Ferne, bis ich um 12.00 Uhr wieder dazu stoße. Um 2.30 Uhr ist Schluss, wir sind auf warmes Bier im Kühlschrank gestoßen und gehen ins Bett. Um 04.00  Uhr lichtet die Alex Anker und wir brechen zu unserer letzten Fahrt in Richtung Las Palmas auf Gran Canaria auf. Nach dem Frühstück ist Reinschiff angesagt und alle Mann müssen auf unter Deck putzen was zu putzen geht. Unserer 8/12 hat glücklicherweise Wache und ich darf auch noch Ruder gehen, so dass die Kloputz-Jobs alle schon erledigt sind als ich fertig bin. Die Alex unter Motor fährt sich ganz anders als unter Segeln und so brauche ich wieder ein wenig Zeit, um den Dreh herauszubekommen. Irgendwann merkt mein Wachführer, dass ich schon 1 ½ Stunden am Ruder stehe und lässt meine Ablösung suchen. Schade, denn nun muss ich Messing im “blauen Salon” putzen. Nachdem dort alles glänzt , dürfen wir den Schiffskompass auf Hochglanz polieren, was weitere 1 ½ Stunden dauert. Dann bereiten wir unsere Wachstation auf das Anlegemanöver vor, legen die Festmacherleinen aus und wir dürfen Wurfleinen werfen üben, weil wir uns freiwillig dafür gemeldet haben. “ Für jeden an Bord ein Bier, wenn Ihr versagt” ist die Ansage. Also üben wir fleißig bis kurz vor dem Anlagemanöver. An unserer Anlegestelle ist kaum Platz und wir müssen rückwärts zwischen einem Schlepper und einem rückwärtigen Pier einfädeln, der Wind drückt unser Schiff mit Macht schräg in die Lücke, der Bugspriet berührt den Schlepper und unser Heck kracht mit Schmackes in die Stoßfänger. Wir sind da! Die Wurfleinen landen perfekt auf dem Pier und ich bin erleichtert.
Das war knapp und keineswegs ein gelungenes Anlagemanöver. Eine schöne, ein Meter lange Schmarre wird vom Bootsmann sofort mit Rostschutz übergetüncht und ziert nun das Heck.
Ich gehe unter Deck und packe meine Sachen zusammen, bevor alle anderen auch auf die Idee kommen. Dann hält unser Kapitän eine Abschiedsrede und es gibt die obligatorischen Fotos mit allen Wachen. Die Nacht werden wir alle zusammen noch auf der Alex verbringen. Am Abend gehen wir noch einmal zusammen Essen und schon am nächsten Tag, noch vor dem Frühstück zerstreut sich unsere Crew in alle Winde. Nur wenige werden den nächsten Törn mitmachen.

TörnplanAm Ende war es eine gelungene Reise, die ich sicher nicht so schnell vergessen werde. Mein Bruder und ich haben eine Menge gelernt und die Stammbesatzung hat sich gegenüber Interessierten sehr aufgeschlossen gezeigt und einem soviel wie möglich erklärt. Meine Befürchtung hinsichtlich der Fähigkeit der Besatzung das Schiff zu bedienen hatten sich nicht bewahrheitet. Es war in dieser sehr knappen Zeit eine gute Kameradschaft an Bord entstanden und nun hätte es eigentlich erst richtig losgehen können. Die Mischung an Bord hat gestimmt und die Stammbesatzung, die zum Teil aus aktiven und ehemaligen Berufsschiffern bestand, hätte den Kahn auch ohne uns segeln können. Insgesamt haben wir 395 Seemeilen zurückgelegt und sind gut die Hälfte davon gesegelt. Durch die gegen an stehenden Winde war leider nicht mehr segeln drin. Das Wachsystem ist für uns gut gewesen, weil wir in der “Altherrenwache” waren. Wenn man in die 0/4 oder 4/8 Wache kommt, muss man mitten in der Nacht raus und verschläft auch mindestens eine Mahlzeit. Das ist aber kein Problem, weil in der Messe ständig Essen bereit steht. Beim nächsten Mal werde ich mich auf alle Fälle um eine 4 Bett Kabine bemühen, die ist geräumiger und hat größere Kojen.

Ich habe mir vorgenommen mindestens noch einmal auf der Alex zu fahren, dann aber einen längeren Törn ohne Landgänge. Zum Beispiel von den Kapverden auf die Azoren, was in etwa 14 Tage dauern kann und wo hoffentlich mehr gesegelt wird.

Sven, im Februar 2007

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