Jun 132015
 

Was für eine Überraschung! Gestern wurden wir, Gast-Anarchist Andy und meine anarchistische Wenigkeit, Judy, von der freundlichen Volvo Ocean Race-Media-Repräsentantin Christina gefragt, ob wir Lust hätten, das Practice Race am Samstag auf einem der Boote mitzusegeln. Sie hatte den Satz noch nicht beendet, da erhielt sie bereits die Antwort. Preußisch kurz und knapp „Ja.“ Also ehrlich, was für eine Frage…

 

Heute früh dann Dock-out, Andy auf Mapfre, ich auf Vestas Wind. Den Regattakurs erreichten wir nach einer knapp einstündigen Motorfahrt. Zeit genug, mit Skipper und Crew ein wenig zu plaudern.
 

Rennvorbereitungen auf Mapfre und Vestas Wind
Rennvorbereitungen auf Mapfre und Vestas Wind (Foto Mapfre © Andy, TVW © Judy)

Rennvorbereitungen auf Mapfre und Vestas Wind

Natürlich hat mich interessiert, was in der 8. Etappe von Lissabon nach Lorient auf Vestas für Schäden aufgetreten waren. Skipper Chris „Nico“ Nicholson gab bereitwillig Auskunft: „Es kam alles auf ein Mal.“ Der Austritt von Hydraulikflüssigkeit, ca. 5-6 Liter, sei durch eine undichte Hochdruckleitung für den Schwenkkiel erfolgt. Durch den zeitgleichen Wassereinbruch, verursacht durch einen losen Leitungsanschluss am hinteren sowie einem Ventildefekt am vorderen Ballasttank, habe sich der Boden in eine Rutschbahn verwandelt. „Man konnte da unten nicht stehen bleiben.“
 

Immer noch vor dem Rennen: Auf Mapfre wird die Taktik besprochen…
Immer noch vor dem Rennen: Auf Mapfre wird die Taktik besprochen… (Foto © Andy)

Doch damit nicht genug, denn der Schwenkkiel bewegte sich nicht mehr. Der Grund? Der Sicherungskasten, durch den die Signale von der Bedieneinheit am Steuer zu einem Gleichstrommotor geschickt werden, habe nur noch willkürlich funktioniert. Dieser Gleichstrommotor führe aber die langsamen Kielbewegungen aus, so dass durch die Stromunterbrechung der Kiel leewärts steckengeblieben sei. Der neue Navigator an Bord, Tom Addis, habe sich auf die Suche nach dem Fehler gemacht und später den Kiel wieder freibekommen. Laut Brian Carlin, seines Zeichens On-Board-Reporter, sei diese Nacht, die er im Bug verbrachte und bei meterhohen Wellen versucht hatte, dem Wasser Herr zu werden, eine seiner schlimmsten Seglerfahrungen gewesen. Wohl gemerkt, der Mann hat kürzlich eine Strandung erlebt!

… während auf Vestas Wind der On-Board-Reporter Brian Carlin mal ans Rad darf.
… während auf Vestas Wind der On-Board-Reporter Brian Carlin mal ans Rad darf. (Foto © Judy)

Apropos Strandung: 70% des Decks stammen noch von Vestas 1.0, ebenso wie viele der inneren Einrichtungen wie z.B. die Kombüse. Über ihren Platz sei er gar nicht glücklich, so Brian, und in der Tat hat man keine Möglichkeit, aufrecht an Gaskocher oder Becken zu stehen. Auf einem Podest Hocken oder Knien ist angesagt, und das bei Wellengang und Krängung – entweder man fällt vorne über, stürzt vom Podest oder schlägt sich den Kopf an der Schottwand an. Laut Brian wird eine Änderung der Kombüsenstelle nur einer unter vielen Veränderungsvorschlägen sein, die zur nächsten Ausgabe umgesetzt werden sollten.

Da lang zum zweiten Platz im Practice Race: Rob Greenhalgh sagte heute, wo’s langgeht für Mapfre
Da lang zum zweiten Platz im Practice Race: Rob Greenhalgh sagte heute, wo’s langgeht für Mapfre (Foto © Andy)

Kurz vor dem Start zum Trainingsrennen stoppte dann jegliche Plauderei. Obwohl nur der Run um die goldene Ananas, wurde das Rennen sowohl auf Mapfre als auch auf Vestas Wind sehr ernstgenommen. Der Start von Mapfre ließ zu wünschen übrig, querten sie die sehr kurze Startlinie am Rennkomiteeboot im hinteren Drittel, während Vestas vorne auf den Punkt am entgegengesetzten Ende ins Rennen ging.

Hier steuert der Chef noch selber: Chris Nicholson und die Jungs vom Team Vestas Wind beim Start zum Trainingsrennen vor Lorient
Hier steuert der Chef noch selber: Chris Nicholson und die Jungs vom Team Vestas Wind beim Trainingsrennen vor Lorient (Foto © Judy)

Die Unterschiede zwischen beiden Teams während des Rennens sind erheblich. André Fonseca, Watch Captain auf Mapfre, hielt den Steuermann Rob Greenhalgh und die gesamte Crew permanent informiert über Wind, Position, die Manöver der anderen Boote und Kurs. Auf Vestas fiel die Kommunikation knapper aus. Wer etwas zu sagen hatte, sagte es, und Nico gab dann die entsprechenden Kommandos. Dabei wich Tom Addis nur von seiner Seite, wenn er an die Winschen musste.

Hau ruck! Baumschieben auf Mapfre
Hau ruck! Baumschieben auf Mapfre (Foto © Andy)

Bei maximal 10 Knoten Bootsgeschwindigkeit war das Rennen an sich nicht sehr aufregend, auf beiden Booten war jedoch überaus eindrucksvoll, wie gut die gesamte Crew aufeinander eingespielt ist. Fokussiert, wie in einem Ballettensemble wusste jeder jederzeit, was zu tun ist, oft im Vorhinein und oft auch ohne Worte. Professionalität zum Zugucken.

Check des Segeltrims, denn Mapfre kommt näher
Check des Segeltrims, denn Mapfre kommt näher (Foto © Judy)

Videos gibt’s morgen auf dieser Seite.

Mapfre im Zweikampf mit dem späteren Sieger des Trainingsrennens, Vestas Wind
Mapfre im Zweikampf mit dem späteren Sieger des Trainingsrennens, Vestas Wind (Foto © Andy)

Der Blick in den Abgrund: Trotz leichter Brise reichlich Schräglage auf Vestas Wind
Der Blick in den Abgrund: Trotz leichter Brise reichlich Schräglage auf Vestas Wind (Foto © Judy)

Bleibt noch zu erwähnen, dass Vestas das Rennen gewann und Mapfre Zweite wurde. Anarchisten auf den Plätzen 1 und 2 beim Volvo Ocean Race – Das ist doch mal was.
 

Grinding-Ballett auf Mapfre…

Grinding-Ballett auf Mapfre und Vestas Wind (Foto Mapfre © Andy, TVW © Judy)

… und auf Vestas Wind