Jul 072013
 

Eine griechische Tragödie zeichnet sich dadurch aus, dass die Figuren irgendwann schicksalhaft in eine ausweglose Situation geraten, aus der sie sich unschuldig und ohne ein tragisches Ende nicht mehr befreien können. Dieser literarischen Vorlage wird die 34ste Austragung des America’s Cups durchaus gerecht.

Prolog: Was bisher geschah

Die Tragödie begann bereits mit der Katastrophe, eigentlich dem letzten Akt: Am 9. Mai hatte das Boot des ersten Herausforderers, des Challenger of Record „Artemis“, einen furchtbaren Trainingsunfall. An jenem Donnerstag verlor der 36jährige Olympionike Andrew „Bart“ Simpsons sein Leben, unter Wasser eingeklemmt in den Trümmern des gekenterten Katamarans.

Noch unter Schock und weit bevor Klarheit über den Unglückshergang bestand, setzte bei der Veranstaltungsorganisation in den folgenden Tagen hektische Betriebsamkeit ein. Unter der Leitung von Regattadirektor Iain Murray erarbeitete ein Komitee 37 Sicherheitsregeln, denen die Teams grundsätzlich zustimmten. Diese Regeln umfassen Spezifizierungen der persönlichen Ausrüstung für die Segler – z.B. Luftflaschen, Helme und Rettungswesten-, generelle Bestimmungen wie den Verzicht auf den Gastplatz an Bord, aber auch Änderungen des sportlichen Reglements (Protokolls) und der Technischen Regularien (Class Rule).

Und hier beginnt das Drama sich zu entfalten. Protokolländerungen können nämlich nur mit den Stimmen der Mehrheit der Teilnehmer, Class Rule-Änderungen nur einstimmig beschlossen werden.

Offenbar stimmten alle Teams den reinen Sicherheitsvorkehrungen zu. Die technischen Änderungen stießen aber nicht überall auf Gegenliebe, Emirates Team New Zealand (ETNZ) und Luna Rossa witterten die Einführung eines Leistungsvorteils für Oracle Team USA und Artemis durch die Hintertür.

Onboard the AC72. Artemis Racing April 11th 2013, Alameda, USA
Vom Unglück verfolgt: Artemis AC72 „Big Red“ (Foto © Sander van der Borch)

Insbesondere die Position, Größe und Form der Ruderflügel hatte es den Kiwis und Italienern angetan, teilen sich ihre Boote doch das neuseeländische Grunddesign und sind damit von allen technischen Änderungen ähnlich schwer betroffen. Diese besagen, dass die Ruderflügel nun über die maximale Breite des Bootes hinausragen, und somit in voller Länge symmetrisch zur Achse des Ruders angebracht werden dürfen. Die ursprüngliche Regel wollte das Überstehen der Flügelchen verhindern, was dazu geführt hatte, dass die Ruderflügel an den Booten der Neuseeländisch-italienischen Kooperation asymmetrisch sind, länger zur Innenseite, kürzer nach außen. Dies ist auch unter den neuen Regeln zulässig, hatte aber ursprünglich großen Einfluss auf die Gesamtarchitektur der Boote: Der allgemeinen Stabilität zuliebe benötigt das Kiwi-Design u.a. voluminösere Rümpfe, die die Geradeausgeschwindigkeit vor dem Wind durch zusätzlichen Luftwiderstand negativ beeinflussen. Einer der vielen Kompromisse, die die Konstruktion eines Renngerätes innerhalb einer Box Rule oder Formal so spannend machen.

Oracle Team USA hingegen hat bereits wesentlich schmalere Rümpfe. Da liegt die Mutmaßung nahe, dass das Team schon längere Zeit mit beiden Rudervarianten, nach altem Reglement und nach neuem  mit symmetrischen, „überbreiten“ Ruderflügeln, trainiert. Im Rennen würden letztere ihrem recht unruhigen, schmalrumpfigen Boot die benötigte Stabilität verleihen. Und Artemis? Das zweite Boot hat das Wasser immer noch nicht gesehen, aber zusätzliche Stabilität, auch jenseits der vor zwei Jahren vereinbarten technischen Spezifikationen, kann sicherlich nicht schaden. Ihre Aussage, Artemis habe ebenfalls Ruder nach alter und neuer Spezifikation spätestens in zwei Wochen einsatzbereit, aber eine dritte Variante nicht verfügbar, ist sehr undurchsichtig. Insbesondere, da eine dritte Variante zur Zeit nicht zur Diskussion steht.

Episode 1: Auf den Weg in den Abgrund

Die Situation verschärfte sich durch dem Umstand, dass die Veranstaltungsgenehmigung bei der Küstenwache noch nicht beantragt war. Wohlgemerkt, wir schreiben immer noch Mitte Mai, das erste Rennen sollte bereits sechs Wochen später stattfinden.

Noch sichtlich mitgenommen vom Verlust seines Freundes Simpson wollte Iain Murray alle 37 Sicherheitsvorschläge schnellstmöglich in Kraft treten lassen und hängte diese einfach an den Genehmigungsantrag. Wie zu erwarten war, wurde am 28. Juni, keine zwei Wochen vor dem ersten Rennen, die Veranstaltungsgenehmigung genau so ausgestellt. Fait accompli. Die Tragödie gewann an Dynamik.

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Nicht zu beneiden um seinen Job: Regatta Direktor Iain Murray (Foto © ACEA/Gilles Martin-Raget)

ETNZ und Luna Rossa, beide nicht überzeugt, dass es sich bei den technischen Änderungen hundertprozentig nur um Sicherheitsfragen drehte, waren nun vor vollendete Regeln ohne ihre Zustimmung gestellt. Nach einem gescheiterten Mediationsversuch durch die Internationale Jury blieb ihnen nun keine andere Wahl, als offiziell die Jury anzurufen, mit der Begründung, dass Regattadirektor Iain Murray seine Kompetenzen überschritten habe, als er de facto die technischen Regeln änderte – eigenmächtig über den Umweg der Veranstaltungsgenehmigung.

Episode 2: Der Blick hinunter

Die Jury, offenbar mit den zeitlichen Abläufen der Veranstaltung nicht übermäßig vertraut, setzte den Verhandlungstag auf den 8. Juli, dem Tag nach dem ersten Rennen. Ja, genau, NACH dem ersten Rennen.

Das wiederum erboste Luna Rossa dermaßen, dass sie ihre Teilnahme an jenem ersten Rennen schlichtweg absagten. Ein Erscheinen hätte wohl ihre Position bei der Jury-Anhörung gefährden können, indem es eine Akzeptanz der Situation demonstriert hätte. Folglich konnten wir ETNZ ein paar – zugegebenermaßen erstaunlich unterhaltsame – Runden drehen sehen, und gratulieren dem Team von der anderen Seite der Welt zu seinem ersten Punkt im Louis Vuitton Cup 2013 (LVC).

010/06/2013 - San Francisco (USA,CA) - 34th America's Cup -
Es hätte so schön werden können… Emirates Team New Zealand gegen Luna Rossa – hier nur beim Training (Foto © ACEA/Gilles Martin-Raget)

Ein Punkt, der weniger wert ist, als eine Rabattmarke von Penny. Denn mit nur drei Herausforderern sind auch automatisch alle drei im Halbfinale des LVC, egal wer gegen wen in den Round Robins gewinnt. Die Absurdität wird noch verdeutlicht, seitdem nach Artemis‘ Unfall jegliche finanzielle Strafen für ein Nichterscheinen gestrichen und die Anzahl der Round Robin-Rennen drastisch vermindert wurden. Kommste heut‘ nich‘, kommste morgen. Oder gar nicht.

Episode 3: Kein Ausweg

Und nun?

Sollte die Jury den Einwänden von ETNZ und Luna Rossa recht geben, steht die Aufrechterhaltung der ursprünglichen technischen Regeln gegen die von der Küstenwache genehmigten neuen technischen Regeln. Alles, was Iain Murray dann tun kann, ist, der Küstenwache zu beweisen, dass die vorgeschlagenen technischen Änderungen doch nicht sicherheitsrelevant sind, und die Genehmigung ohne diese erneut erteilt werden solle. Er hat bereits verlauten lassen, dass er dies nicht tun werde, sondern eher eine Absage der Regatta riskiere. Bloßes Armdrücken? Hoffen wir das mal.

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Verlängerung des 34sten America’s Cup in New York? Luna Rossa droht mit Klage (Foto © ACEA/Gilles Martin-Raget)

Sollte die Jury die Einsprüche von ETNZ und Luna Rossa ablehnen, wird ETNZ mit ihren nach beiden Regelvarianten gültigen Rudern segeln, und Luna Rossa wird sich auf eine Klage vor dem New York Supreme Court, dem Hüter der Stiftungsurkunde des America’s Cups, vorbereiten. Zumindest haben sie das angedroht. Bloßes Armdrücken? Hoffen wir das mal.

Katastrohe: Der letzte Akt

Da unsere Tragödie bereits mit der Katastrophe begonnen hat, braucht es sicherlich keine zweite. Sollte dieser America’s Cup allerdings keinen Ausweg finden, wird das Rennen in New York weitergehen und voraussichtlich erst in Jahren entschieden werden.

Es gibt noch so viel mehr, das unser Drama beeinflusst, so viele Nebenschauplätze, die aus Platz- und Aufmerksamkeitsgründen hier unerwähnt bleiben, und so viele Mutmaßungen, die weit über das hier Beschriebene hinausgehen.

Emirates Team New Zealand practice sailing  NZL5 in San Francisco. 27/6/2013
Stabil auf Kufen: Emirates Team New Zealand beim Training in San Francisco (Foto © Chris Cameron)

Doch, es bleibt noch Hoffnung: Spätestens im September, wenn der eigentliche America’s Cup ausgetragen wird, werden wir eine Regatta sehen, mit einem Verteidiger, der nichts unversucht gelassen hat, sich Vorteile zu verschaffen und mit einem Herausforderer, der versucht, diesen Verteidiger von der Bürde des Cup-Besitzes zu befreien.

  3 Responses to “34ster America’s Cup: Ein Drama zum Zugucken”

  1. Hallo Judy, vielen Dank für Deine Zusammenfassung des aktuellen Geschehens im Vorfeld des 34. Americas Cup. Es ist unglaulich, wie sich die Fehleinschätzungen von LE und RC in der Kombination mit PC aufschaukeln. Sportlich ist der Drops schon längst geluscht und ohne Bruch wird es auf ein ORACLE vs. ETNZ Match hinaus laufen. Mal sehen, wie die Internationale Jury über den Protest von LUNA ROSSA entscheiden wird und ob sich daraus noch Klagen in New York ergeben werden. Wenn ja, dann ist das PR Debakel für Larry Ellison für sein "Die Besten der Besten auf den besten Yachten der Welt!!!" perfekt. Schade, aber leider wahr: Die Juristerei um den AC bietet vermutlich mehr Spannung als das Segeln auf dem Wasser.

  2. Ich habe damals auch immer "Dallas" geguckt… So, nun isses raus.
    Der AC ist ähnlich, nur leider nicht gespielt, sondern echt. Im September haben wir dann hoffentlich auch einen sportlichen Wettbewerb.

  3. […] der Disput über die Sicherheitsvorschläge des Regatta Direktors Iain Murray, kurz „Ruddergate“ genannt, noch einer griechischen Tragödie, so entwickelt sich der letzte Eklat um den […]